Die Mütter-Mafia
und nach Überlebenden zu suchen.« Sie lachte, offensichtlich ganz Herrin der Lage. »Bei der Gelegenheit kann ich Anne und Constanze gleich mal unser oberes Stockwerk zeigen. Wir haben einen Architektenpreisfür das Haus bekommen. Da kann man sich so einige Anregungen für die eigene Wohnung holen.«
Danke nein, für heute hatte ich mir genug Anregungen geholt.
»Wo ist eigentlich Karsta?«, fragte Sonja.
Alle schauten sich um. Von Karsta keine Spur.
»Oh mein Gott«, rief Sabine aus. »Ihr habt doch gar keine Kindersicherung an der Treppe!«
Wie vom Affen gebissen rannten alle die Treppe hinauf. Ich folgte etwas langsamer, weil Julius seine Arme nicht von meinem Hals nehmen wollte. Außerdem verstand ich nichts von Erster Hilfe.
Aber Karsta war nichts geschehen. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, alle Barbiepuppen ins Klo zu stopfen und mehrfach abzuziehen. Das Badezimmer stand unter Wasser, und die Barbies hätten bei einem Ken-Alarm echt alt ausgesehen. Glücklicherweise waren sie nicht hinuntergespült worden, sondern auf halbem Weg stecken geblieben.
Aber Karsta hatte ihren Spaß gehabt. Als Sabine sie vom Klo pflückte, brüllte sie so, dass ihr der Schnuller aus dem Mund fiel. Jetzt erst fiel auf, dass das Mädchen ein fliehendes Doppelkinn hatte, einen Mund, der aussah wie die Rettungsinsel einer Boeing 747 und eine Nase wie eine Kartoffel. Es war wirklich klug von Sabine, dem Kind dauerhaft einen Schnuller ins Gesicht zu stecken.
Eine Weile waren nun alle beschäftigt. Sabine wischte Karsta und das Bad trocken, Anne und Jasper schrubbten die Blutflecken aus Marlons Teppich, Gitti hängte mit Flavia und Marie-Antoinette die Barbiekleider zum Trocknen auf Sonja, Sophie und Wibeke föhnten die Puppen wieder in Form, und Ellen sang dem weinenden Timmi ein lustiges Lied vor.
Marlon sagte: »Vafickte Weibßbilda.«
Julius klammerte sich weiterhin an meinen Hals.
Der Nachmittag war so ganz anders gelaufen, als ich es mirvorgestellt hatte. Überhaupt war alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte. So wie damals in der Grundschule, als ich unbedingt zu Mieke Seidels Clique hatte gehören wollen, weil ich Mieke mit ihren roten Locken so unheimlich toll gefunden hatte. Als ich es endlich geschafft hatte und in die Clique aufgenommen worden war, musste ich feststellen, dass Miekes liebste Freizeitbeschäftigung darin bestand, Katzen zu quälen. Mieke gefiel es nämlich, dass die Katzen ihren Namen riefen, wenn man ihnen wehtat. Meine Enttäuschung war bodenlos gewesen. Ich hatte Mieke die Plastiktüte mit der zappelnden, miekenden Nachbarskatze entrissen und gerufen, dass sie sich ihre dämliche Clique in ihre dämlichen Locken schmieren könne. Mieke hatte den anderen Mädchen den Befehl gegeben, mich aufzuhalten, aber ich hatte nicht umsonst schon im zarten Alter von acht Jahren den Spitznamen »Horror-Windmühle« weg. Ich war schätzungsweise doppelt so groß wie die anderen, meine Arme reichten ausgestreckt von einer Seite des Schulflures bis zur anderen, und wo ich mit meinen riesigen Turnschuhen hintrat, wuchs kein Gras mehr. Einmal hatte ich dem größten und stärksten Jungen der Schule das Nasenbein gebrochen, als ich mir meinen Regenmantel angezogen hatte. Es war aus Versehen geschehen, der arme Kerl war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, aber seitdem hieß ich eben Horror-Windmühle, und niemand von Miekes Vasallinnen wagte es, mich anzurühren. Ich konnte ungehindert davonrauschen. Ein wunderbarer Abgang. So einen wünschte ich mir jetzt auch, nur zivilisierter natürlich. Ich war ja heute eine erwachsene Frau mit Stil. Es gab also keinen Grund, ausfallend zu werden und Frauke zu sagen, dass sie sich ihren Verein dämlicher Mütterdominas in die dämlichen Strähnchen schmieren konnte. Schade eigentlich.
»Sehr schön habt ihr es hier oben«, sagte ich ganz zivilisiert zu Frauke. »Jan hat mir ja schon von seinem Haus vorgeschwärmt.«
»Ja, er hat mir gesagt, dass er dich von früher kennt. Lustiger Zufall.«
»Wir hatten ein Zimmer in derselben WG«, sagte ich.
»Das kann aber nicht sein«, sagte Frauke. »Jan hat in einer reinen Männer-WG gewohnt. Von da hat er nämlich seine schrecklichen Junggesellenmacken!«
»Kann sein. Ich hab ja auch nur ein Semester dort gewohnt«, sagte ich. »Mein erstes Semester. Es war eine ziemlich chaotische WG, Jan, Verena und ich und ein dicker Medizinstudent, den wir Mops genannt haben. Verena hatte ein Faible für Henna und
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