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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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der Augenbrauen unter den Bandagen auf; das Gesicht schien einen deutlicheren Ausdruck zu haben – hart, entschlossen.
    Lawrence lächelte. Er sprach es auf lateinisch an und formu-lierte die Sätze sorgfältig. »Weißt du, wie lange du geschlafen hast, unsterblicher Pharao? Der du behauptest, du hättest tausend Jahre gelebt?«
    Verunglimpfte er die alte Sprache? Er hatte so viele Jahre Hieroglyphen übersetzt, daß ihm Cäsars Sprache nicht mehr so geläufig war. »Es ist doppelt soviel Zeit vergangen, Ramses, seit du dich in dieser Kammer eingeschlossen hast, seit Kleopatra sich die giftige Natter an die Brust gehalten hat.«
    Er betrachtete die Gestalt einen Augenblick lang stumm. Gab es eine Mumie, die nicht eine tiefe, kalte Angst vor dem Tod weckte? Man konnte gern glauben, daß das Leben hier noch irgendwo ausharrte; daß die Seele in den Bandagen gefangen war und nur befreit werden konnte, wenn man das Ding zerstörte.
    Ohne nachzudenken sprach er englisch weiter.
    »Ach, wenn du nur unsterblich wärst. Wenn du nur die Augen in dieser modernen Welt aufschlagen könntest. Und wenn ich nur nicht auf die Erlaubnis warten müßte, diese kläglichen Bandagen abzunehmen und dich anzusehen… dein Gesicht!«
    Das Gesicht. Hatte sich das Gesicht verändert? Nein; es lag nur am grellen Sonnenlicht, oder? Aber das Gesicht wirkte voller. Lawrence streckte ehrerbietig die Hand aus, um es zu berühren, tat es dann aber doch nicht, sondern verharrte mit regloser Hand.
    Jetzt sprach er wieder lateinisch. »Wir schreiben das Jahr 1914, großer König. Und der Name Ramses der Große ist immer noch aller Welt bekannt; ebenso der Name deiner letzten Königin.«
    Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Es war Henry:
    »Sprichst du lateinisch zu Ramses dem Großen, Onkel? Vielleicht beeinflußt der Fluch bereits dein Gehirn.«
    »Ja, er versteht Lateinisch«, antwortete Lawrence, der die Mumie immer noch betrachtete. »Oder nicht, Ramses? Und Griechisch. Und Persisch und Etruskisch, Sprachen, die die Welt vergessen hat. Wer weiß? Vielleicht hast du sogar die Sprachen der vorgeschichtlichen nordischen Barbaren verstanden, die vor Jahrhunderten zu unserem Englisch wurde.« Er wechselte wieder ins Lateinische über. »Doch ah, es gibt so viele Wunder in der neuen Welt, großer Pharao. Ich könnte dir so viele Dinge zeigen…«
    »Ich glaube nicht, daß er dich hören kann, Onkel«, sagte Henry kalt. Das leise Klirren von Glas auf Glas war zu hören. »Hoffen wir es jedenfalls nicht.«
    Lawrence drehte sich unvermittelt um. Henry, der eine Aktentasche unter einem Arm stecken hatte, hielt den Deckel eines Glases in der rechten Hand.
    »Rühr das nicht an!« sagte Lawrence schroff. »Es ist Gift, du Narr. In allen ist Gift. Ein Quentchen, und du bist so tot wie er.
    Das heißt, wenn er wirklich tot ist.« Schon der Anblick seines Neffen machte ihn wütend. Noch dazu in so einem Augenblick…
    Lawrence drehte sich zu der Mumie um. Selbst die Hände schienen voller zu sein. Und einer der Ringe hatte sich fast durch die Bandage gebohrt. Erst vor Stunden…
    »Gift?« fragte Henry hinter ihm.
    »Ein ansehnliches Laboratorium voller Gifte«, antwortete Lawrence. »Genau die Gifte, welche Kleopatra vor ihrem Selbstmord an ihren hilflosen Sklaven erprobt hat!« Warum vergeudete er diese wertvolle Information an Henry?
    »Das ist ja wahnsinnig aufregend«, antwortete sein Neffe. Zy-nisch, sarkastisch. »Ich dachte, sie wäre von einer Natter gebissen worden.«
    »Du bist ein Idiot, Henry. Du weißt weniger von Geschichte als ein ägyptischer Kameltreiber. Kleopatra hat hundert Gifte ausprobiert, bevor sie sich für die Natter entschieden hat.«
    Er drehte sich um und beobachtete kalt, wie sein Neffe die Marmorbüste von Kleopatra berührte und mit den Fingern grob über Nase und Augen fuhr.
    »Nun, ich könnte mir denken, dies ist ein kleines Vermögen wert. Und diese Münzen. Du wirst diese Sachen dem Britischen Museum doch nicht schenken, oder?«
    Lawrence setzte sich auf den Klappstuhl. Er tauchte den Federhalter ein. Wo hatte er mit seiner Übersetzung aufgehört?
    Mit diesen Störungen war es unmöglich, sich zu konzentrieren.
    »Kannst du nur an Geld denken?« fragte er kalt. »Und was hast du je damit gemacht, außer es zu verspielen?« Er sah zu seinem Neffen auf. Wann war das jugendliche Feuer in diesem hübschen Gesicht erloschen? Wann hatte die Arroganz es hart gemacht, es altern und so sterbenslangweilig werden lassen?

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