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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ins Gesicht sah. Seine Haut war wie die Haut eines jeden anderen Menschen, nur glatter, möglicherweise weicher, und von kräftigerer Färbung – wie ein Mann, der einen Dauerlauf hinter sich hat; die Wangen leicht gerötet.
    Er drehte unvermittelt den Kopf herum. Sie hörte es auch.
    Stimmen draußen. Streitende Stimmen. Ein Auto hatte vor dem Haus angehalten.
    Rita stürzte linkisch ans Fenster, als könnte die Mumie sie aufhalten.
    »Es ist Scotland Yard, Miss. Gott sei Dank.«
    »Nein, unmöglich! Verriegeln Sie unverzüglich die Tür.«
    »Aber Miss!«

    »Verriegeln Sie sie. Sofort.«
    Rita eilte und gehorchte. Julie nahm Ramses an der Hand.
    »Komm mit mir nach oben«, sagte sie zu ihm. »Rita, schieben Sie den Deckel auf den Sarg. Er ist ganz leicht. Machen Sie ihn rasch zu, und kommen Sie dann.«
    Kaum hatte Rita den Riegel vorgelegt, klopften sie und läuteten. Das schrille Scheppern der Klingel erschreckte Ramses.
    Sein Blick glitt an der Decke entlang zum hinteren Teil des Hauses, als hätte er gehört, wie das Geräusch zur Klingel in der Küche gewandert war.
    Julie zog ihn sanft, aber drängend, und zu ihrer Überraschung folgte er ihr ohne Widerstand die Treppe hinauf.
    Sie konnte hören, wie Rita leise Angstlaute von sich gab. Aber Rita tat, wie ihr befohlen worden war. Julie hörte, wie sie den Sargdeckel auflegte.
    Und Ramses studierte die Tapete, die gerahmten Porträts, das Krimskramsregal in der Ecke oben an der Treppe. Er betrachtete das Buntglasfenster. Er sah auf den Wollteppich mit seinem Muster aus Federn und verzerrten Blättern hinab.
    Das Pochen wurde unerträglich. Julie hörte, wie ihr Onkel Randolph nach ihr rief.
    »Was soll ich tun, Miss?« fragte Rita.
    »Unverzüglich heraufkommen.« Sie sah Ramses an, der sie mit einer seltsamen Mischung aus Geduld und Belustigung betrachtete. »Du siehst normal aus«, flüsterte sie. »Völlig normal. Wunderschön, aber normal.« Sie zog ihn den Flur entlang. »Das Bad, Rita!« rief sie, als Rita zitternd und un-schlüssig hinter ihnen auftauchte. »Rasch! Lassen Sie ein Bad ein.«
    Sie brachte ihn zum vorderen Teil des Hauses, als Rita an ihnen vorbei eilte. Das Pochen hatte aufgehört. Sie hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloß drehte. Aber der Riegel, Gott sei Dank! Das Klopfen fing wieder an.
    Ramses lächelte sie jetzt wahrhaftig an, als wollte er gleich anfangen zu lachen. Er sah in die Schlafzimmer, an denen sie vorbeigingen. Plötzlich sah er den elektrischen Lüster, der an seiner staubigen Kordel von der Decke hing. Im Tageslicht sahen die winzigen Glühbirnen trüb und milchig aus. Aber jetzt brannten sie, und er kniff die Augen zusammen, um sie zu studieren, und leistete zum ersten Mal zaghaften Widerstand.
    »Die kannst du später ansehen!« sagte sie ungeduldig. Da Wasser lief in die Wanne. Dampf wallte zur Tür heraus.
    Er nickte, wobei er die Brauen leicht hochzog, und folgte ihr ins Bad. Die glänzenden Kacheln schienen ihm zu gefallen. Er drehte sich langsam zum Fenster um und sah ins Sonnenlicht, das auf das milchige Glas fiel. Er untersuchte behutsam den Riegel, dann machte er das Fenster auf und schob die Flügel nach außen, bis er die Dächer vor sich liegen sah und den strahlenden Morgenhimmel darüber.
    »Rita, Vaters Kleidung«, sagte Julie atemlos. Sie würden jeden Moment die Tür aufbrechen. »Beeilen Sie sich, holen Sie seinen Morgenmantel, Hausschuhe, ein Hemd. Machen Sie schnell.«
    Ramses hob das Kinn und machte die Augen zu. Er nahm das Sonnenlicht in sich auf. Julie sah, wie sich sein Haar unmerklich bewegte, winzige Löckchen in seiner Stirn kräuselten sich.
    Das Haar schien dichter zu werden. Es wurde dichter.
    Natürlich. Das war es, was ihn aus seinem von Träumen heimgesuchten Schlaf erweckt hatte. Die Sonne! Und er war zu schwach gewesen, um Henry zu überwältigen. Er hatte ins Sonnenlicht kriechen müssen, um seine ganze Kraft zu erlangen.
    Unten rief jemand: »Polizei.« Rita kam mit einem Paar Hausschuhe in der Hand und einem Bündel Kleidern angerannt.
    »Draußen sind Reporter, Miss; eine ganze Meute, und Scotland Yard und Ihr Onkel Randolph…«
    »Ja, ich weiß. Gehen Sie jetzt runter, und sagen Sie ihnen, wir werden gleich zur Stelle sein, aber schieben Sie den Riegel nicht zurück!«
    Julie nahm den seidenen Morgenmantel und das Hemd und hing alles an einen Haken. Sie berührte Ramses an der Schulter.
    »Britannien«, sagte er leise, und seine Augen glitten von rechts nach links, als

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