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Die Mumie

Die Mumie

Titel: Die Mumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wollten sie die Stelle festhalten, wo sie standen.
    »Ja, Britannien!« sagte sie. Plötzlich wurde sie von einer herrlichen Beschwingtheit erfaßt. Sie deutete auf das Bad. »Lavare!« sagte sie. Hieß das nicht waschen?
    Er nickte und sah alles um sich herum genau an – die Mes-singhähne, den Dampf, der aus der tiefen Wanne aufstieg. Er betrachtete die Kleidungsstücke.
    »Für dich!« sagte sie und deutete auf die Kleidung und dann auf Ramses. Ach, wenn sie sich nur an das lateinische Wort hätte erinnern können. »Kleider«, sagte sie verzweifelt.
    Und dann lachte er. Sanft, leise, nachsichtig. Und wieder war sie versteinert. Sie sah ihn an, die glatte, leuchtende Schönheit seines Gesichts. Herrlich ebenmäßige weiße Zähne hatte er, makellose Haut und so ein seltsam befehlsgewohntes Gebaren, als er sie ansah. Aber schließlich war er Ramses der Große, oder nicht? Wenn sie nicht damit aufhörte, würde sie wieder in Ohnmacht fallen.
    Sie ging zur Tür hinaus.
    »Reste!« sagte sie. »Lavare.« Sie machte mit beiden Händen eine flehentliche Geste. Dann wollte sie gehen, aber urplötzlich umklammerte seine kräftige rechte Hand ihr Gelenk.
    Ihr Herz setzte aus.
    »Henry!« sagte er leise. Sein Gesicht nahm einen bedrohlichen Ausdruck an, der aber nicht gegen sie gerichtet schien.
    Langsam erholte sie sich wieder. Sie konnte Rita hören, die den Männern draußen schreiend befahl, mit dem Pochen aufzuhören. Jemand brüllte von der Straße zurück.
    »Nein, mach dir keine Sorgen wegen Henry. Jetzt nicht. Ich kümmere mich um Henry.« Aber er verstand ja gar nicht. Wieder bat sie gestikulierend um seine Geduld, seine Nachricht, und nahm dann behutsam seine Hand von ihrem Arm. Er nickte und ließ sie gehen. Sie ging hinaus, schloß die Tür hinter sich und rannte den Flur entlang und die Treppe hinunter.
    »Lassen Sie mich rein, Rita!« brüllte Randolph. Fast wäre Julie auf der untersten Treppe gestolpert. Sie hastete in den Salon. Der Deckel war auf dem Sarg! Konnten sie die schwache Staubspur auf dem Boden sehen? Aber niemand würde es glauben! Sie hätte es selbst nicht geglaubt!
    Sie blieb stehen, machte die Augen zu, holte tief Luft. Dann befahl sie Rita, die Tür aufzumachen.

    Als sie sich mit einem gezierten Gesichtsausdruck umdrehte, sah sie ihren Onkel Randolph, der zerzaust und barfuß und nur mit Morgenmantel bekleidet zur Tür hereinkam. Der Wachmann des Museums war dicht hinter ihm sowie zwei Herren, bei denen es sich um Polizisten in Zivil zu handeln schien, obwohl sie nicht genau wußte, warum.
    »Was um alles in der Welt ist denn los?« fragte sie. »Du hast mich aus dem Schlaf gerissen. Wie spät ist es?« Sie sah sich verwirrt um. »Rita, was geht hier vor?«
    »So wahr ich hier stehe, ich weiß es nicht!« schrie Rita fast.
    Julie bedeutete ihr, still zu sein.
    »Meine Teuerste, ich hatte Angst um dich«, antwortete Randolph. »Henry hat gesagt…«
    »Was hat Henry gesagt?«
    Die beiden Herren in den grauen Mänteln bemerkten den verschütteten Kaffee. Einer starrte auf das Taschentuch mit dem weißen Pulver auf dem Boden. Im Sonnenlicht sah es fast wie Zucker aus. Und plötzlich lungerte Henry unter der Flurtür.
    Einen Augenblick lang sah sie ihn an. Er hat meinen Vater ermordet! Aber darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen. Sie sah ihn wieder vor sich, wie er ihr die Kaffeetasse hinhielt. Sie sah seine hölzerne Miene, sein blasses Gesicht.
    »Was ist denn nur los mit dir, Henry?« fragte sie kalt und unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme. »Du bist vor einer halben Stunde hier rausgestürmt, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
    »Du weißt verdammt gut, was passiert ist«, flüsterte er. Er war blaß und schwitzte. Er hatte ein Taschentuch herausgeholt und wischte sich die Oberlippe ab, seine Hand zitterte so sehr, daß selbst sie es sehen konnte.
    »Nimm dich zusammen«, sagte Randolph und drehte sich zu seinem Sohn um. »Und nun, zum Teufel, was hast du gesehen?«
    »Die Frage ist, Miss«, sagte der kleinere der beiden Männer von Scotland Yard, »ist ein Einbrecher hier im Haus gewesen?«
    Stimme und Benehmen eines Gentleman. Die Angst wich von ihr. Sie spürte, daß ihre Selbstsicherheit zurückkehrte. »Wahrlich nicht, Sir. Hat mein Cousin einen Einbrecher gesehen?
    Henry, du mußt ein schlechtes Gewissen haben. Du siehst Gespenster. Ich habe niemanden hier gesehen.«
    Randolph sah Henry wütend an. Die Männer von Scotland Yard

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