Die Mumie
konnte als warten. Und daß er alles versuchen mußte, um Alex zu beschützen, den armen, verwundbaren Alex, der beim Dinner so kläglich versagt hatte, seine zunehmende Qual zu verbergen. Er mußte Alex helfen und ihm klarmachen, daß er seine Jugendliebe verlieren würde, denn daran bestand nicht mehr der geringste Zweifel.
Aber ihm selbst machte all das großen Spaß. Es faszinierte ihn. Die Wahrheit war, daß er sich ob dieses Geheimnisses verjüngt fühlte. Es ging ihm so gut wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Wenn er an die glücklichen Zeiten seines Lebens zurückdach-te, gab es nur eine Zeit, in der einfach nur am Leben zu sein wunderbar gewesen war. Damals in Oxford. Er war zwanzig Jahre alt gewesen und in Lawrence Stratford verliebt, und Lawrence Stratford war in ihn verliebt.
Der Gedanke an Lawrence machte alles zunichte. Es war, als hätte der eisige Wind des Meeres sein Herz zu Eis erstarren lassen. Irgend etwas war an diesem Grab geschehen, das Henry ihm nicht zu beichten wagte. Und Ramsey wußte es.
Doch gleichgültig, was in diesem gefährlichen kleinen Abenteuer sonst noch passieren würde, Elliott hatte vor, die Wahrheit zu ergründen.
Am vierten Tag begriff Elliott, daß Julie nicht mehr im öffentlichen Speisesaal essen würde, sondern von nun an sämtliche Mahlzeiten zusammen mit Ramsey in ihrer Kabine einnehmen würde.
Auch Henry war von der Bildfläche verschwunden. Mürrisch und betrunken blieb er rund um die Uhr in seiner Kabine, wo er selten etwas anderes als Hosen, Hemd und Smokingjacke trug. Das hinderte ihn freilich nicht daran, vergleichsweise regelmäßig mit den Mannschaftsmitgliedern Karten zu spielen, die nicht eben erpicht darauf waren, beim Spielen mit einem Passagier der Ersten Klasse erwischt zu werden. Man munkel-te, daß Henry ziemlich viel gewann. Aber das hatte man bei Henry immer gemunkelt. Früher oder später würde er verlieren, und zwar alles, was er gewonnen hatte. Das war von Anfang an der Gang seines Niedergangs gewesen.
Elliott konnte auch sehen, daß Julie sich größte Mühe gab, nett zu Alex zu sein. Sie und Alex machten ihren nachmittäglichen Spaziergang an Deck bei Regen und bei Sonnenschein.
Ab und zu tanzten Alex und sie nach dem Essen im Ballsaal.
Ramsey war jedesmal dabei und beobachtete alles mit erstaunlicher Gelassenheit, aber auch jederzeit dazu aufgelegt, abzuklatschen und selbst mit Julie zu tanzen. Offenbar hatte man sich jedoch darauf geeinigt, daß Julie Alex nicht aus dem Weg gehen sollte.
Die kurzen Ausflüge an Land, bei denen Elliott nicht mitma-chen konnte, unternahmen Julie, Samir, Ramsey und Alex stets gemeinsam. Alex kam jedes Mal ein wenig verstimmt zurück. Er mochte Ausländer nicht besonders. Julie und Samir waren stets bester Laune und Ramsey war begeistert von all den Dingen, die er sah, besonders wenn es ihm gelang, ein Kino oder eine Buchhandlung mit englischsprachigen Büchern zu finden.
Elliott war dankbar, daß Julie Alex gegenüber so freundlich war. Schließlich war dieses Schiff nicht der geeignete Ort, an dem Alex die ganze Wahrheit erfahren mußte, und das wußte auch Julie. Andererseits war es möglich, daß Alex spürte, daß er die erste große Schlacht seines Lebens verloren hatte. Au-
ßerdem war Alex zu gut erzogen, als daß er seine Gefühle vor anderen gezeigt hätte. Wahrscheinlich kannte er sie selbst nicht ganz genau, überlegte Elliott.
Für Elliott bestand das wahre Abenteuer der Reise darin, Ramsey besser kennenzulernen, Ramsey aus der Ferne zu beobachten und Dinge an ihm zu entdecken, die andere offenbar übersahen. Von Vorteil war, daß es sich bei Ramsey um einen so überaus geselligen Menschen handelte.
Ramsey, Elliott, Samir und Alex spielten stundenlang Billard zusammen, währenddessen Ramsey viel redete und viele Fragen stellte.
Besonders die moderne Wissenschaft hatte es ihm angetan, und Elliott mußte stundenlang von Zellen, vom Kreislaufsy-stem, von Viren und anderen Krankheitserregern sprechen.
Und die Idee der Impfung faszinierte Ramsey.
Ramsey saß fast jede Nacht in der Bibliothek und brütete über Darwin und Malthus oder populärwissenschaftlichen Darstel-lungen von Elektrizität, Telegrafie, über das Automobil und die Astronomie.
Auch die moderne Kunst fand sein Interesse. Er war beein-druckt von den Pointilisten und Impressionisten und fasziniert von den Romanen der Russen Tolstoi und Dostojewski, die gerade erst ins Englische übersetzt worden waren. Die
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