Die Muschelsucher
Straßenseite. Mir war auch, als hätte ich Sie erkannt.« Seine Stimme war kühl, ein bißchen hoch.
»Wo ist Ihr Sergeant?«
»Unten am Hafen.«
»Sie haben nicht lange gebraucht, um diesen Platz zu finden.«
»Ich bin seit drei Tagen in Porthkerris, aber ich hatte erst heute Gelegenheit, hierher zu kommen.«
»Sie meinen, Sie haben gewußt, daß wir hier dieses Museum haben?«
»Selbstverständlich. Wer wüßte es nicht?«
»Zu viele.« Während Lawrence den Fremden weiter musterte, entstand eine Pause. Er hatte bei solchen Anlässen einen scharfen und durchdringenden Blick, den viele Leute, die ihm ausgesetzt waren, enervierend fanden. Der Major der Königlichen Marineinfanterie schien jedoch nicht im geringsten enerviert zu sein. Er wartete einfach, und Lawrence, dem seine kühle Gelassenheit gefiel, wurde sichtlich lockerer. Er sagte unvermittelt: »Ich bin Lawrence Stern.«
»Ich habe mir gedacht, daß Sie es sein könnten. Ich habe es gehofft. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«
»Und das ist meine Tochter, Penelope Keeling.« Er sagte: »Sehr erfreut«, traf aber keine Anstalten, näher zu treten und ihre Hand zu nehmen. Penelope sagte: »Guten Tag.«
»Und wie heißen Sie?«
»Lomax, Sir. Richard Lomax.«
»Nun, Major Lomax.« Lawrence klopfte auf das abgesessene Leder neben sich. »Setzen Sie sich doch. Es ist mir unangenehm, wenn ich Sie da vor mir stehen sehe. Ich hab nie gern gestanden.« Major Lomax folgte der Aufforderung, ohne eine Miene zu verziehen, und setzte sich rechts neben Lawrence. Er beugte sich vor und ließ die Hände entspannt zwischen den Knien nach unten baumeln.
»Sie haben doch das Museum gegründet, nicht wahr, Sir?«
»Ich und eine Menge anderer Leute. In den frühen zwanziger Jahren. Es war ursprünglich eine Kapelle. Stand jahrelang leer. Wir bekamen sie für ein Butterbrot, aber dann hatten wir ein Problem, weil wir nur sehr gute Bilder darin haben wollten. Um den Kern einer wirklich guten Sammlung zu bilden, stiftete jeder von uns eines seiner Lieblingswerke. Sehen Sie.« Er lehnte sich zurück und zeigte mit dem Spazierstock. »Stanhope Forbes. Laura Knight. Es ist ein besonders schönes Bild.«
»Und sehr ungewöhnlich. Ich assoziiere sie immer mit Zirkussen.«
»Sie hat es in Porthcurno gemalt.« Das Stockende wanderte ein kleines Stück weiter. »Lamorna Birch. Munnings. Montague Dawson. Thomas Millie Dow. Russell Flint.«
»Übrigens, Sir, ich muß Ihnen sagen, daß mein Vater ein Bild von Ihnen hatte. Als er starb, wurde das Haus dann verkauft, leider zusammen mit dem Bild.«
»Welches war es?«
Sie fuhren fort, sich zu unterhalten. Penelope hörte nicht mehr zu. Sie hörte auf, über Nancys Garderobe nachzugrübeln, und fing an, statt dessen an das Essen zu denken. Heute abend. Was sollte sie ihnen bloß vorsetzen? Makkaroniauflauf? Sie hatte noch ein kleines Stück Cheddar von der wöchentlichen Käseration übrig, den sie reiben und zu einer Soße verarbeiten könnte. Oder Blumenkohlauflauf. Aber sie hatten vorgestern abend Blumenkohlauflauf gehabt, und die Kinder würden sich beschweren, ».haben Sie hier keine modernen Werke?«
»Wie Sie sehen, nicht. Stört Sie das?«
»Nein.«
»Aber Sie mögen sie?«
»Ich liebe Miro und Picasso. Ich finde Chagall und Braque sehr reizvoll. Ich kann Dali nicht ausstehen.«
Lawrence schmunzelte. »Surrealismus. Ein Kult. Aber bald, ich meine, bald nach diesem Krieg, wird etwas Großartiges geschehen.
Ich und meine Generation und die Generation nach uns sind so weit gegangen, wie es möglich war. Die Revolution, die der Welt der bildenden Künste nun bevorsteht, ist etwas, das mich mit Begeisterung und Aufregung erfüllt. Allein aus diesem Grund wäre ich gern wieder ein junger Mann. Um zusehen zu können, wie es passiert. Denn sie werden eines Tages kommen. Wie wir gekommen sind. Junge Männer mit neuen Visionen und einem weitreichenden Blick und enorm viel Talent. Sie werden kommen, aber nicht, um die Bucht und das Meer und die Boote und die Anleger zu malen, sondern um die Wärme der Sonne und die Farbe des Windes zu malen. Ein völlig neues Konzept. Enorm stimulierend. Ungeheuer vital. Wunderbar.« Er seufzte. »Und ich werde tot sein, ehe es auch nur angefangen hat. Wundern Sie sich, daß ich es bedaure? Das alles zu versäumen.«
»Ein Mensch kann in seinem Leben nur eine begrenzte Anzahl von Dingen tun.«
»Sicher. Aber es ist schwer, nicht noch mehr zu wollen. Es liegt in der Natur des
Weitere Kostenlose Bücher