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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sechs Dosen für euch reserviert. Er dachte, die Kinder würden sie bestimmt gern essen. Er sagt, du brauchst nur runterzukommen, wenn du sie haben willst, jederzeit.«
    »Er ist ein Engel! O Ernie, vielen Dank. Ich gehe gleich heute nachmittag hinunter, bevor er es sich anders überlegt.«
    »Das tut er bestimmt nicht.«
    »Möchtest du mit uns essen?«
    »Nein, ich muß zurück. Trotzdem vielen Dank.« Penelope machte sich gleich nach dem Mittagessen auf den Weg, nachdem sie ihre Gummistiefel und eine alte gelbe Öljacke angezogen und eine Wollmütze aufgesetzt hatte, die ihr bis über die Ohren ging. Sie hatte zwei große Einkaufskörbe dabei, und als sie sich an die heftigen Böen, die sie manchmal umzuwehen drohten, und den peitschenden Regen gewöhnt hatte, empfand sie das Toben der Elemente als Herausforderung und fing an, es zu genießen. Sie erreichte den Ort und fand ihn sonderbar menschenleer. Das Unwetter hatte alle in die Häuser getrieben, aber das Gefühl, isoliert zu sein, die Straßen ganz für sich zu haben, diente nur dazu, ihre Befriedigung noch intensiver zu machen. Sie kam sich vor wie eine kühne, unerschrockene Entdeckerin.
    Mr. Penberths Gemüseladen lag unten, auf halber Höhe der Hafenstraße. Man konnte ihn durch das Labyrinth der Gassen in Downalong erreichen, aber sie wählte statt dessen die Straße zum Wasser, und als sie bei der Rettungsstation um die Ecke bog, traf der Sturm sie mit voller Wucht. Es war Flut, und der Hafen hatte sich in eine Landschaft aus aufgewühlten Wellen mit langen, grauen Schaumkronen verwandelt. Schreiende Möwen wurden in alle Richtungen getrieben, schaukelnde Kutter zerrten an den Ankern, und am anderen Ende des Nordanlegers sah sie die an ihren Leinen tanzenden Landungsboote. Das Wetter war offenbar so schlimm, daß sich nicht einmal die Kommandos hinauswagten. Als sie endlich den Gemüseladen, ein winziges dreieckiges Haus in der Gabelung zweier kleiner Gassen, erreichte, war sie erleichtert. Sie öffnete die Tür, und die Glocke bimmelte. Es war niemand im Laden, in dem es angenehm nach Pastinakwurzeln, Äpfel und Erde roch, doch als sie die Tür hinter sich schloß, wurde der Vorhang in der Öffnung der rückwärtigen Wand zur Seite geschoben, und Mr. Penberth, der wie immer seine dunkelblaue Wolljacke und seine komische pilzförmige Mütze trug, kam in den Raum.
    »Ich bin’s«, sagte sie überflüssigerweise, während kleine Rinnsale von ihrer Öljacke auf den Boden tropften.
    »Dachte ich mir schon.« Er hatte die gleichen dunklen Augen wie sein Sohn, und das gleiche breite Lächeln, aber nicht mehr so viele Zähne. » Den ganzen Weg zu Fuß gekommen? Verdammtes Sauwetter. Aber der Sturm hat sich erschöpft, und heute abend wird es besser. Ich hab eben im Radio den Seewetterbericht gehört. Sie haben die Nachricht bekommen, nicht? Ernie hat Ihnen von den Pfirsichen erzählt?«
    »Glauben Sie, ich wäre sonst gekommen? Nancy hat in ihrem Leben noch nie einen Pfirsich gegessen.«
    »Sie kommen besser nach hinten durch. Ich halte sie nämlich versteckt. Wenn jemand dahinterkommt, daß ich Pfirsiche in Dosen habe, bin ich meines Lebens nicht mehr sicher.« Er hielt den Vorhang zur Seite, und sie ging mit ihren Körben in das kleine, vollgestellte Hinterzimmer, das als Lagerraum und zugleich als Büro diente. Hier brannte ein schwarzer Ofen, der nie ausgehen durfte, und hier erledigte Mr. Penberth seine Telefonate und machte sich, wenn im Laden nichts los war, eine Tasse Tee nach der anderen. Heute roch es durchdringend nach Fisch, aber Penelope nahm es kaum wahr, weil ihre ganze Aufmerksamkeit von den Dosen beansprucht wurde, die auf allen waagerechten Flächen gestapelt waren. Mr. Penberths morgendliche Ausbeute. »Was für ein Fund! Ernie hat gesagt, Sie seien am Nordstrand gewesen. Wie haben Sie die Kisten hierher gebracht?«
    »Ich hab meinen Nachbarn zu Hilfe geholt. Er hat sie mit aufgeladen, und dann bin ich einfach damit her gefahren. Sind sechs genug für Sie?«
    »Mehr als genug.«
    Er legte drei Dosen in jeden Korb. »Übrigens, wann habt ihr zuletzt Fisch gehabt?«
    »Warum?«
    Mr. Penberth bückte sich, verschwand in der Knieöffnung seines Schreibtisches und holte einen Eimer hervor, der offensichtlich die Quelle des durchdringenden Geruchs war. Penelope blickte hinein und sah, daß er fast bis zum Rand mit blauen und silbrigen Makrelen gefüllt war. »Einer von den Jungs war heute morgen draußen und hat sie mir für ein paar Dosen

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