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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Tragödie.«
    »Ja. Ja, es war eine Tragödie. Meine Mutter und mein Vater sind nie richtig darüber hinweggekommen. Er war der ideale Sohn. Er war intelligent, er sah gut aus, und er war ein guter Sportler - der Sohn, den alle Eltern gern hätten. Für mich war er immer so was wie ein Gott, weil er alles wußte und alles konnte. Als er alt genug war, spielte er auch Golf, und meine Schwester spielte es zuletzt auch, aber bei mir waren Hopfen und Malz verloren, ich interessierte mich nicht mal dafür. Ich fuhr lieber allein mit dem Fahrrad durch die Gegend und schaute nach Vögeln. Ich fand das viel unterhaltsamer als all die verrückten Feinheiten, auf die es beim Golf ankommt.«
    »Berwickshire scheint nicht sehr verlockend zu sein«, bemerkte Antonia. »Bist du nie woandershin gefahren?«
    Danus lachte. »Doch, natürlich. Ich hatte auf der Schule einen guten Freund, der Roddy McCrae hieß, und seine Eltern hatten oben in Sutherland, bei Tongue, ein Croft. Sie hatten eine Angellizenz für die Naver, und Roddys Vater brachte mir das Angeln bei. Als ich alt genug war und nicht mehr mit den anderen nach Berwickshire fahren mußte, war ich in den Ferien meist bei ihnen.«
    »Was ist denn ein Croft?« fragte Antonia.
    »Eine Kate. Ein Bauernhaus aus Stein mit zwei Räumen. Sehr primitiv. Kein fließendes Wasser, kein WC, kein Strom, kein Telefon. Es war weit weg von allem, am Ende der Welt. Es war toll.« Sie schwiegen. Es war, fiel Penelope ein, erst das zweite oder dritte Mal, daß Danus in ihrer Gegenwart von sich erzählt hatte. Sie empfand Mitleid mit ihm. Einen Bruder, den er liebte und bewunderte, in einem so zarten Alter verloren zu haben, mußte ein traumatisches Erlebnis gewesen sein. Und das Gefühl, daß er diesen Bruder nie erreichen, geschweige denn ersetzen könnte, hatte es vielleicht noch schlimmer gemacht. Sie wartete, weil sie dachte, er hätte womöglich den Wunsch, mehr zu erzählen, nachdem er einmal aus seiner Reserve herausgetreten war, aber er tat es nicht. Statt dessen setzte er sich auf, reckte sich und sprang hoch. »Das Wasser ist abgeflossen«, sagte er zu Antonia. »Der Swimming-pool in den Felsen wartet auf uns. Fühlst du dich stark genug, um hineinzuspringen?«
    Sie waren über den Rand der Klippen geklettert, um auf dem gefährlich steilen Pfad zwischen den Felsen nach unten zu gehen. Der große Tümpel in dem natürlichen Becken war wie kobaltblaues Glas und blitzte in der Sonne. Penelope wartete darauf, daß sie zurückkamen, und dachte an ihren Vater. Sie sah ihn vor sich, wie er mit seinem breitkrempigen Hut und seinem Glas Wein neben sich konzentriert an seiner Staffelei saß und das Alleinsein genoß. Eine der großen Enttäuschungen ihres Lebens war, daß sie sein Talent nicht geerbt hatte. Sie war keine Malerin, sie konnte nicht mal zeichnen, aber sein Einfluß war sehr stark gewesen, und sie war ihm so lange ausgesetzt gewesen, daß sie ganz automatisch in der Lage war, die Dinge ringsum mit seinen alles erfassenden Künstleraugen zu sehen. Alles war noch genauso wie früher, mit Ausnahme des Wanderwegs längs der Küste, der sich wie ein braunes Band zwischen dem frischen Grün der Farne hindurchwand. Sie blickte aufs Meer und überlegte, wie sie es, wenn sie Papa wäre, wohl am liebsten malen würde. Es war blau, aber das Blau setzte sich aus tausend verschiedenen Tönen zusammen. Über den sandigen Stellen schimmerte das seichte und durchscheinende Wasser jadegrün und hatte lange Schatten von Aquamarin. Über Felsen und Tang nahm es ein tiefes Indigo an, und weit draußen, wo ein kleines Fischerboot über die Dünung glitt, war es von einem satten Preußischblau. Es ging nur ein ganz leichter Wind, aber das Meer lebte und atmete, schwoll aus den Tiefen heran und bildete lange Wellen. Wenn sie sich zu gekrümmten Kämmen hochwölbten, schien das Sonnenlicht durch sie hindurch und verwandelte sie in lebende Skulpturen aus grünem Glas, und zuletzt war alles in Licht getaucht, in jene einzigartige gleißende Helle, die die Maler nach Cornwall gelockt und die französischen Impressionisten zu ihren herrlichsten Bildern inspiriert hatte.
    Eine vollkommene Komposition. Alles, was noch fehlte, waren menschliche Gestalten, um ihr Proportionen und Leben zu schenken. Sie erschienen. Weit unten, in dieser Entfernung winzig klein wirkend, gingen Danus und Antonia langsam zwischen den Felsen zu dem natürlichen Becken. Sie beobachtete sie. Danus trug die Badelaken. Als sie endlich den

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