Die Muschelsucher
vorgestellt, wie sie in Tränen aufgelöst zu George gelaufen ist, nachdem ich einfach aufgehängt hatte, und ihm aufgezählt hat, was ihre böse Mutter ihr angetan hat. Und wie George sich hinter seiner Times versteckt und kein Wort gesagt hat. Er ist noch nie sehr gesprächig gewesen. Ich habe übrigens nie begreifen können, warum Nancy ausgerechnet ihn geheiratet hat. Kein Wunder, daß ihre Kinder so wenig liebenswert sind. Rupert mit seinem flegelhaften Benehmen und Melanie mit ihrem lauernden Blick und dieser schrecklichen Angewohnheit, in einem fort an ihren Zöpfen herumzukauen.«
»Du redest nicht sehr freundlich von ihnen.«
»Das stimmt. Ich rede gehässig. Aber ich bin froh, daß es so gekommen ist, weil es mir geholfen hat, einen Entschluß zu fassen. Ich werde dir jetzt etwas schenken.« Ihre große Lederhandtasche stand auf dem Nachttisch. Sie langte danach und tastete darin herum. Ihre Finger fanden das Gesuchte. Sie holte das alte Schmucketui heraus. »Da«, sagte sie und reichte es Antonia. »Es ist für dich.«
»Für mich?«
»Ja. Ich möchte, daß du sie bekommst. Nimm es. Mach es auf.« Antonia nahm das Etui widerstrebend entgegen. Sie drückte den winzigen Schnäpper und klappte es auf. Penelope beobachtete sie und sah, wie sie überrascht den Mund öffnete und große Augen bekam. »Aber. Das kann ich nicht annehmen!«
»Doch, du kannst. Ich schenke sie dir. Ich möchte, daß du sie trägst. Tante Ethels Ohrringe. Sie hat sie mir hinterlassen, und ich habe sie mitgehabt, als ich damals bei euch in Ibiza war. Ich habe sie bei der Party getragen, die Cosmo und Olivia gegeben haben. Erinnerst du dich?«
»Natürlich erinnere ich mich. Aber du kannst sie mir nicht einfach schenken. Sie sind bestimmt viel zu wertvoll.«
»Nicht mehr als unsere Freundschaft. Nicht mehr als all die Freude, die du mir geschenkt hast.«
»Aber sie sind sicher Tausende wert.«
»Ungefähr viertausend, glaube ich. Ich konnte es mir nie leisten, sie zu versichern, und mußte sie deshalb von der Bank aufbewahren lassen. Ich habe sie an dem Tag abgeholt, als wir in Cheltenham waren. Und ich nehme an, du kannst dir die Versicherung auch nicht leisten, so daß sie wahrscheinlich wieder in einen Safe wandern werden. Die armen Dinger, sie haben nicht viel vom Leben, nicht wahr? Aber du kannst sie jetzt tragen, heute abend. Wie ich sehe, hast du schon mal Ohrringe getragen, denn deine Ohrläppchen sind durchbohrt. Steck sie an, damit wir sehen können, wie sie an dir aussehen.«
Antonia zögerte immer noch. »Penelope. Wenn sie soviel wert sind, solltest du sie dann nicht für Olivia oder Nancy aufheben? Oder für deine Enkelin? Vielleicht wäre es besser, wenn Melanie sie bekommt.«
»Olivia möchte sicher auch, daß du sie bekommst. Das weiß ich. Sie werden sie an Ibiza und an Cosmo erinnern, und sie wird genau wie ich der Meinung sein, daß du diejenige bist, der sie gehören sollen. Was Nancy betrifft, so ist sie so schrecklich habgierig und materialistisch geworden, daß sie überhaupt nichts verdient. Und ich fürchte, Melanie würde ihre Schönheit nie richtig zu schätzen wissen. Steck sie bitte an.«
Antonia blickte immer noch zweifelnd drein, als sie die Ohrringe behutsam von dem verblichenen Samtkissen nahm und die dünnen goldenen Häkchen durch die Löcher in ihren Ohrläppchen schob. Sie strich ihr Haar nach hinten. »Wie sehen sie an mir aus?«
»Wunderbar. Genau das richtige für diesen Rock und die Bluse. Geh zum Spiegel und urteile selbst.«
Antonia stand auf und ging zum Frisiertisch. Penelope betrachtete ihr Bild im Spiegel und fand, daß sie noch nie ein so hinreißend schönes Mädchen gesehen hatte.
»Sie sind wie für dich gemacht. Man muß sehr groß sein, um so erlesenen antiken Schmuck tragen zu können. Und wenn du mal knapp bei Kasse bist, kannst du sie notfalls verkaufen oder versetzen. Eine kleine Reserve für Notzeiten.«
Antonia war so überwältigt, daß sie zunächst kein Wort hervorbringen konnte. Nach einer Weile wandte sie sich vom Spiegel ab und kehrte zum Bett zurück. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich bin ganz verwirrt. Ich weiß einfach nicht, warum du so freundlich und großzügig zu mir sein solltest.«
»Ich glaube, eines Tages, wenn du so alt bist wie ich, wirst du die Antwort wissen.«
»Ich will dir etwas sagen. Ich werde sie heute abend tragen, aber ich nehme sie noch nicht endgültig an, und wenn du es dir morgen früh anders überlegt hast, gebe ich sie
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