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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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besten Ihnen.«
    »Aber würde Ihr Bruder nicht gern die Belehrung verlesen?« Olivia verneinte, sie glaube nicht, daß Noel es gern täte. Mr. Tillingham brachte noch zwei oder drei weitere Dinge zur Sprache, die rasch geregelt waren. Dann trank er seinen Kaffee aus und erhob sich. Olivia begleitete ihn durch die Küche zur Haustür, wo sein schäbiger Renault auf dem Kiesweg stand.
    »Auf Wiedersehen, Miss Keeling.«
    »Auf Wiedersehen, Mr. Tillingham.« Sie gaben sich die Hand. Sie sagte: »Sie sind sehr freundlich gewesen.« Er lächelte, und es war ein überraschend charmantes und herzliches Lächeln. Er hatte bislang nicht richtig gelächelt, und seine sympathischen Züge waren auf einmal so verwandelt, daß Olivia in ihm nicht mehr den Pfarrer sah und keine Schwierigkeiten hatte, mit etwas herauszurücken, das ihr seit seiner Ankunft im Kopf herumgegangen war. »Ich begreife nicht, warum Sie so freundlich und entgegenkommend sind. Wir wissen schließlich beide, daß meine Mutter keine fromme Kirchgängerin war. Sie war nicht einmal sehr religiös. Und sie konnte nie recht an die Auferstehung und ein Leben nach dem Tod glauben.«
    »Das weiß ich. Wir haben einmal darüber gesprochen, aber wir sind zu keinem Ergebnis gekommen.«
    »Ich bin nicht einmal sicher, daß sie an Gott glaubte.« Mr. Tillingham schüttelte immer noch lächelnd den Kopf und langte nach dem Griff der Wagentür. »Ich würde mir nicht allzu viele Sorgen darüber machen. Vielleicht hat sie nicht an Gott geglaubt, aber ich bin ziemlich sicher, daß Gott an sie geglaubt hat.«
    Ohne seine Besitzerin war das Haus tot, eine leere Hülse, seines Herzschlags beraubt. Es schien verzweifelt und sonderbar stumm zu warten. Die Stille war greifbar, unentrinnbar, bedrückend wie ein schweres Gewicht. Keine Schritte, keine Stimme, kein Klappern von Töpfen. Der Kassettenrecorder auf dem Küchenbüfett spielte nicht mehr leise Brahms und Vivaldi. Geschlossene Türen wurden nicht mehr geöffnet. Jedesmal, wenn Antonia die schmale Treppe hinaufging, stand sie vor der geschlossenen Tür von Penelopes Schlafzimmer. Früher war sie immer offen gewesen, und man hatte achtlos über einen Stuhl gelegte Kleidungsstücke gesehen, ein frischer Luftzug war durch das geöffnete Fenster gekommen und ein Hauch von dem Duft, der Penelope gehörte. Nun war da nur noch eine Tür.
    Unten war es nicht besser. Der Ohrensessel am Wohnzimmerkamin blieb leer. Das Feuer wurde nicht mehr angezündet, der Sekretär war zugeklappt. Keine anheimelnde Unordnung, kein Lachen, keine herzlichen und spontanen Umarmungen. In der Welt, in der Penelope gelebt, existiert, geatmet, zugehört, sich erinnert hatte, hatte man doch glauben können, daß niemals etwas allzu Schreckliches geschehen könnte. Oder, wenn es doch geschah. und Penelope war es widerfahren. daß es Mittel und Wege gab, damit fertig zu werden, sich damit abzufinden und sich nicht geschlagen zu geben.
    Sie war tot. Als Antonia an jenem furchtbaren Morgen aus dem Wintergarten getreten war und Penelope zusammengesunken, mit ausgestreckten Beinen und geschlossenen Augen auf der alten Holzbank erblickt hatte, hatte sie sich eingeredet, sie ruhe nur eine Weile aus und genieße die frische Morgenluft, die erste Wärme der bleichen Sonne. Das Offensichtliche war einen unwirklichen Moment lang zu endgültig, um erwogen zu werden. Ein Leben ohne diesen steten Quell der Liebe, diesen sicheren Felsen, war undenkbar. Aber das Undenkbare war geschehen. Sie war fort. Das Schlimmste war, die einzelnen Tage zu überstehen, die schmerzhaft langsam dahintröpfelten. Tage, die bisher nicht lang genug gewesen waren, um all das hineinzupacken, was sie tun wollten, dehnten sich nun zu einer Ewigkeit, und zwischen Sonnenaufgang und Dämmerung schien ein ganzes Zeitalter zu vergehen. Selbst der Garten bot keinen Trost, weil Penelope nicht da war, um ihn zum Leben zu erwecken, und es kostete Überwindung, hinauszugehen und etwas zu tun zu finden, Unkraut zu jäten oder einen Strauß Narzissen zu pflücken, die sie dann in einer Vase arrangierte und irgendwohin stellte. Irgendwohin. Es kam nicht mehr darauf an.
    Es war eine beängstigende Erfahrung, so allein zu sein. Sie hatte nicht gewußt, was es bedeutete, sich so allein zu fühlen. Vorher war immer irgend jemand dagewesen. Zuerst Cosmo, und dann, als Cosmo gestorben war, die beruhigende Gewißheit, daß es Olivia gab. Sie war in London, einen ganzen Kontinent von Ibiza entfernt, aber sie war

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