Die Muschelsucher
grünen Filzdecke saß. Nancys kalte blaue Augen starrten sie empört an. Ihre Wangen begannen sich zu röten. Endlich machte sie den Mund auf. »Das kann doch nicht wahr sein?«
»Ich fürchte« - Mr. Enderby sprach sehr gemessen - , »es ist wahr. Mrs. Keeling schenkte Antonia die Ohrringe, als sie zusammen in Cornwall waren. An dem Tag, als sie zu mir in die Kanzlei kam, also einen Tag vor ihrem Tod, hat sie mir davon berichtet. Sie hat unmißverständlich erklärt, daß an ihrem Entschluß nicht gerüttelt werden solle und daß die Rechtmäßigkeit der Schenkung nicht in Frage gestellt werden dürfe.«
»Und woher hast du es gewußt?« fragte Nancy ihre Schwester. »Woher hast du gewußt, daß Mutter das getan hat?«
»Sie hat es mir geschrieben.«
»Melanie hätte sie bekommen müssen.«
»Nancy, Antonia ist sehr gut zu Mama gewesen, und Mama hat sie sehr gemocht. Antonia hat sie in den letzten Wochen ihres Lebens sehr glücklich gemacht. Und sie ist mit ihr nach Cornwall gefahren und hat ihr Gesellschaft geleistet, wozu wir alle keine Lust hatten.«
»Du meinst, wir sollten ihr dafür dankbar sein? Wenn du mich fragst, liegt der Fall ganz anders.«
»Antonia ist dankbar.«
Die Auseinandersetzung wäre womöglich noch lange weitergegangen, doch Mr. Enderby beendete sie mit einem erneuten mahnenden Räuspern. Nancy schwieg beleidigt, und Olivia stieß einen stummen Seufzer der Erleichterung aus. Für den Augenblick war es überstanden, aber sie war ziemlich sicher, daß die Sache noch längst nicht zu den Akten gelegt war und daß Nancy das Schicksal von Tante Ethels Ohrringen noch in ferner Zukunft zur Sprache bringen und lautstark beklagen würde.
»Entschuldigung, Mr. Enderby. Wir haben Sie aufgehalten. Fahren Sie bitte fort.«
Er sah sie dankbar an und kam wieder zur Sache. »Lassen Sie uns mit dem eigentlichen Nachlaß fortfahren. Als Mrs. Keeling mir ihren letzten Willen mitteilte, hat sie mehrmals betont, daß sie alles tun wolle, um zu verhindern, daß es zwischen Ihnen zu Unstimmigkeiten über die Verteilung des Vermögens kommt. Deshalb kamen wir zu dem Schluß, daß alles verkauft werden und der Erlös zu gleichen Teilen unter Sie aufgeteilt werden solle. Dazu war es notwendig, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen, und wir kamen überein, diese Aufgabe meiner Kanzlei, also Enderby, Looseby und Thring, zu übertragen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt und Sie sind damit einverstanden. Gut. In dem Fall.« Er begann zu lesen. »Hiermit bevollmächtige und beauftrage ich meine Testamentsvollstrecker, meine gesamte bewegliche und unbewegliche Habe von Sachverständigen schätzen zu lassen und zum bestmöglichen Preis zu verkaufen. Ja, Mrs. Chamberlain?«
»Ich weiß nicht, was das bedeutet.«
»Es geht um den restlichen Besitz Ihrer Mutter, das heißt, um dieses Haus samt Einrichtung, ihr Depot mit Aktien und Anleihen und ihr gegenwärtiges Bankguthaben.«
»Es soll alles verkauft werden, und das, was Sie dafür bekommen, wird durch drei geteilt?«
»Genau. Natürlich nach Begleichung der offenen Rechnungen, der fälligen Steuern und der Beerdigungskosten.«
»Das klingt furchtbar kompliziert.«
Noel langte in die Tasche und holte sein Notizbuch heraus. Er schlug es auf, blätterte zu einer leeren Seite und zog die Kappe seines Füllhalters ab. »Vielleicht könnten Sie eine überschlägige Schätzung machen, Mr. Enderby, damit wir uns ausrechnen können, worum es in etwa geht.«
»Selbstverständlich. Fangen wir mit dem Haus an. Ich schätze, daß Podmore’s Thatch mit den Nebengebäuden und dem beträchtlichen Grundstück wenigstens zweihundertfünfzigtausend Pfund wert ist. Ihre Mutter hat hundertzwanzigtausend dafür gezahlt, aber das war vor fünf Jahren, und Immobilienwerte sind seitdem sehr gestiegen. Hinzu kommt, daß dies neuerdings eine sehr begehrte Gegend ist, auch für Leute interessant, die in London arbeiten, also für berufstätige Pendler. Was die Einrichtung des Hauses betrifft, bin ich nicht so sicher. Alles in allem vielleicht zehntausend Pfund? Mrs. Keelings Aktien und Anleihen dürften im Moment rund zwanzigtausend Pfund wert sein.« Noel stieß einen Pfiff aus. »Soviel? Ich hatte keine Ahnung.«
»Ich auch nicht«, sagte Nancy. »Woher kommt all das Geld?«
»Es ist das, was sie vom Erlös des Hauses in der Oakley Street übrigbehielt, nachdem sie Podmore’s Thatch gekauft hatte. Sie hat es sehr gut angelegt.«
»Aha.«
»Und ihr Bankkonto?« Noel
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