Die Muse des Mörders (German Edition)
Georg noch Lucy antworteten und als sie aufblickte, entdeckte sie dieselbe Fassungslosigkeit in beiden Gesichtern. Die Antwort war einfach. Sie hatte es nicht verdient, aber sie war so dumm gewesen, in aller Öffentlichkeit eine mehr als verantwortungslose Äußerung zu machen. Eine Äußerung, durch die sich der Dolchstoßmörder in seinem Denken und Handeln bestärkt und bestätigt fühlte. Wann immer er von nun an die Mordlust, die ihn antrieb, in sich spürte, würde er ihr nachgeben und sich auf Madeleines Worte berufen. Angewidert nahm sie das Kästchen von ihrem Schoß, stellte es auf den Nachttisch und stand auf. Sie wankte, von Schwindel erfasst, zur Tür.
»Madeleine«, rief Lucy, doch Madeleine wollte sich nicht aufhalten lassen. Sie spürte, wie Tränen ihre Augen füllten, und schämte sich nun zutiefst für ihre unbedachten Worte im Café Hawelka. Über Nacht war sie zur Muse eines Wahnsinnigen geworden. Sie hastete ins Badezimmer und schlug die Tür hinter sich zu, doch das Wissen um das Feuer, welches sie im Hirn des Mörders entfacht hatte, ließ sich nicht aussperren.
39.
Marie schreckte aus dem Schlaf hoch und sah zu Oliver hinüber, der schwer atmend neben ihr im Bett saß. Sein Blick war starr nach vorn in die Dunkelheit gerichtet. Er reagierte nicht und es wirkte, als ob er sich erst orientieren müsste.
»Schatz, ist alles okay?« Marie zögerte, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Er war schweißnass, sein Shirt klebte an seinem Rücken. »Du hast geschrien.«
»Nein. Nein, es ist …« Es fiel ihm sichtlich schwer, sich von seinen Gedanken loszureißen und sich ihr zuzuwenden. Er versuchte ein missglücktes Lächeln. »Ich habe nur geträumt.«
»Was?« Eine Sorge, die sie sich nicht erklären konnte, schwang in ihrer Stimme mit.
»Nichts von Bedeutung, Süße. Komm her.« Oliver schlang die Arme um sie und legte sich mit ihr zurück auf ihr lila Kissen. »Nichts von Bedeutung.«
Eine Weile lagen sie schweigend nebeneinander. Marie konnte förmlich hören, wie Oliver nachdachte. Seine Gedanken schienen unaufhörlich um irgendetwas zu kreisen.
»Oliver?«
»Ja?«
»Du bist anders.«
»Bin ich das?«
»Ja.«
Sie hörte, wie er durchatmete. Mittlerweile kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass er sie nicht mit seinen Problemen belasten wollte. Nur konnte sie sich nicht vorstellen, welche Probleme das sein sollten. Es war doch alles in Ordnung oder irrte sie sich?
Vielleicht wollte Oliver das hier nicht. Vielleicht wäre es ihm doch lieber gewesen, wenn sie beide durchgebrannt wären. Andererseits wirkte er doch genauso erleichtert wie sie, dass ihr Vater ihm verziehen und ihm sogar seinen Job zurückgegeben hatte. Gleich heute hatten die beiden bis in die Nacht gemeinsam in der Werkstatt gestanden. Oliver war froh, wieder Teil des Meisterbetriebs zu sein. Noch bevor sie ihn erneut fragen konnte, ergriff er das Wort.
»Was würdest du sagen, wenn ich ein Geheimnis hätte?«
»Vor mir?« Für Marie war es unvorstellbar, dass Oliver ihr etwas verheimlichte. Von Anfang an hatten sie sich immer alles anvertraut. Oder nicht? War er möglicherweise nicht immer ehrlich zu ihr gewesen? »Warum solltest du? Ich meine … wie könntest du mir so etwas antun?«
»Marie, ich würde dir nie etwas antun.« Oliver wandte sich ihr zu und legte ihr die Hände ins Gesicht. »Das Geheimnis, das ich habe, würde dich zerstören.«
»Du kannst mir doch alles sagen. Egal was es ist, ich bin doch für dich da.«
»Dabei kannst du mir nicht helfen.« Er küsste sie auf die Stirn und ihr Herz schlug schneller. Seine Worte beunruhigten sie, aber sie spürte auch, dass es keinen Sinn hatte, jetzt weiter nachzuhaken. Trotzdem versuchte sie es.
»Egal, was es ist, ich werde dich immer lieben, hörst du? Wenn du mir irgendetwas sagen willst, egal wann, dann tu es bitte.«
»Danke.«
Marie sah ihren Freund durchdringend an, aber er hatte die Augen geschlossen. Sie betrachtete ihn noch eine Weile schweigend und überlegte, was er ihr verheimlichte. Der Gedanke daran machte sie krank, doch irgendwann übermannte sie die Müdigkeit und sie fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf.
40.
Je näher Dominik dem Obduktionssaal kam, desto stärker wurde der Geruch von Formalin und von etwas, über das er sich lieber keine Gedanken machen wollte.
Rebecca hatte ihn angerufen und hierher bestellt. Sie wollte mit ihm über die Analyse der Föten und Embryonen sprechen,
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