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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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man es zubereiten konnte. Weil Sonne, Regen und Gottes Hilfe allein auch die Schädlinge prächtig gedeihen lassen.
    Kurz vor zwölf kam Anne zurück. Ich stand am Küchenfenster, sah sie mit hängenden Schultern die Einfahrt heraufkommen. Die eigene Untätigkeit und das Verhalten der Polizisten machten mich verrückt, vielleicht ließ auch nur die Wirkung der Tabletten nach. Anne betrat die Diele, zog ihre schmutzigen Schuhe aus und kam in die Küche. Sie sah verweint aus, behauptete jedoch, ihre Augen seien vom Wind gerötet und verquollen. «Es ist richtig kalt draußen. Wie im November.»
    Sie war ungefähr die Hälfte des Weges gegangen, hatte den Traktoren zugeschaut und Udo von Wirth getroffen. «Der arme Kerl ist fix und fertig. Er läuft da draußen herum und sammelt Müll auf. Ich glaube, er weiß gar nicht, was er tun soll. Er wollte mir von seiner Schwester und den Kindern erzählen. Das habe ich nicht ausgehalten. Ich habe ihn einfach stehen lassen. Dabei hat er mir so Leid getan.»
    Ich war ganz hohl. Jeder Atemzug fiel in eine riesige Blutlache. Man ist schnell am Ende, hat schnell die eigene Grenze erreicht. Ich wollte nicht, dass Jürgen Recht behielt. Er behauptete immer, ich sei nicht belastbar. «Vera, du funktionierst nur, wenn alles glatt läuft. Sobald ein Problem auftaucht, verlierst du den Kopf.»
    Ich wollte meinen Kopf nicht verlieren. Ich wollte nur mein Kind zurückhaben. Lebend! Und gesund! So ein hübsches Mädchen, sensibel, mitfühlend, stark und mutig. Keine Angst vor großenTieren. Keinen Respekt vor überholten Ansichten von Stil und guten Tischsitten. Rena war so, wie ich gerne gewesen wäre.
    Anne deutete mit dem Kinn zum Wohnzimmer und sprach wie ein Hund, der nach Fliegen schnappt. «Warum tut eigentlich dieser Kerl nichts? Hast du gesehen, was er liest?»
    «Ja.»
    «Findest du das gut?»
    «Wenn es ihnen hilft.»
    Anne ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Saft heraus, holte sich ein Glas und lachte gehässig. «Sei nicht albern, Mutti. Da steht nichts drin, was für die Polizei von Bedeutung ist.»
    «Woher willst du das wissen?»
    Sie verzog das Gesicht zu einer Miene aus Überheblichkeit und Trotz. «Ich weiß es eben. Sie hat mir vielleicht nicht alles, aber doch viel erzählt. Über Pferde, etwas anderes hatte sie nicht im Kopf. Bei den Pferden ist sie nicht, also sollen sie gefälligst suchen und nicht hier herumsitzen.»
    Sie sprach laut genug, um von Olgert verstanden zu werden. Es war mir egal. Nein, das war es nicht! Ich hätte ihm das sagen müssen. Raus hier! Sie ist nicht nach Hamburg gefahren. Sie ist irgendwo da draußen, also gehen Sie raus! Aber er hatte ja Angst um seine Schuhe, überließ es den ortsansässigen Bauern, die an Dreck gewöhnt waren.
    Ich erzählte Anne von seiner Theorie. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, und plötzlich flüsterte sie: «Scheiße! Mutti, ich glaube, er hat Recht. Rena hatte gestern Morgen einen Brustbeutel bei sich. Er war neu, aus Leder, hellbraun, mit Flechtarbeiten. Ich habe ihn gesehen, als sie im Bus bezahlte. Sie wollte ihn gleich wieder wegstecken. Ich glaube, sie wollte nicht, dass ich ihn sehe. Ich habe sie gefragt, woher sie ihn hat. Sie sagte, sie hat ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen.»
    «Von wem?»
    «Das hat sie nicht gesagt. Ist ja auch nicht so wichtig. Sie hatteihren Pass drin, Mutti. Und Geld. Viel Geld! Es waren mehrere Hundertmarkscheine.»
    «Was?» Ich konnte auch nur noch flüstern.
    Anne nickte düster, wisperte: «Sie sagte, das wäre auch ein Geburtstagsgeschenk.» Dann fragte sie laut: «Soll ich uns einen Kaffee machen?»
    Ich schüttelte den Kopf. Olgert rief aus dem Wohnzimmer: «Ja, das wäre nett.»
    Ich nahm noch eine von den Pillen und ging in die Diele. Mein Mantel war noch immer feucht, Annes Jacke, die ich in der Nacht getragen hatte, ebenso. Ich holte mir eine Jacke aus dem Schlafzimmer und verließ das Haus. Wohin ich wollte, wusste ich nicht. Nur etwas tun, irgendetwas, nicht herumstehen, nicht warten.
    Von der Einfahrt aus sah ich die Traktoren; Pünktchen, die in der Ferne die Wege abfuhren. Ich ging los, um den linken Mauerpfosten herum. Mitten hinein in den Dreck. Er saugte an den Schuhsohlen, das Unkraut am Bahndamm lockte. Es stand nicht mehr hüfthoch wie sonst, lag flach gedrückt und zerzaust, ich kam darauf besser voran.
    Mein Fiesta stand noch so, wie wir ihn in der Nacht zurückgelassen hatten. Er war nicht verschlossen, der Schlüssel steckte. Für einen Moment hatte

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