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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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ich das Bedürfnis, mich hineinzusetzen und loszufahren. Auf die Autobahn, mit Vollgas Richtung Hamburg. Und sei es nur, um zu beweisen, dass sie sich irrten. Widersinnig, die Räder steckten zur Hälfte im Morast.
    Mir fiel auf, dass der Müllsack, für den wir angehalten hatten, nicht mehr auf dem Weg lag. Ich dachte, der Wind hätte ihn weggetrieben, bis mir einfiel, was Anne über Udo von Wirth gesagt hatte. Ich hatte das Bedürfnis, jeden zu fragen, ob er gesehen habe, dass Udo den Sack nahm und wohin er ihn gebracht hatte. Es wäre um so vieles leichter gewesen, nach einem Müllsack zu suchen.
    Mehrere Hundertmarkscheine und der Pass in einem neuen Brustbeutel. Anne musste sich irren, alle irrten sich. Alles warfalsch. Ein Polizist saß in unserem Wohnzimmer und las, was im Kopf und im Herzen meiner jüngsten Tochter vorgegangen war, statt nach ihr zu suchen. Ein zweiter Polizist befragte den Tierarzt nach einer toten Stute statt nach einem verschwundenen Mädchen. Jürgen kurvte mit Scherer herum, statt der Polizei Dampf zu machen. Vater pflückte die welken Blätter vom Kopfsalat, statt noch einmal seinen Freund Steinschneider anzurufen. Anne kochte Kaffee, Mutter wischte die Fenster blank. Ich lief ziel- und planlos einen Feldweg entlang. Und Rena war nicht mehr bei uns.
    Wir hätten zusammen sein müssen. Gemeinsam alle Möglichkeiten durchdenken. Gemeinsam nach ihr suchen. Wir waren eine Familie, die immer so viel Wert auf Gemeinsamkeit gelegt hatte.
    Ich ließ den Wagen hinter mir, suchte den Boden ab, die Unkrautbüschel, die wassergefüllten Fahrrinnen, die beiden Unterführungen. Suchte nach Fetzen von Kleidung, einem verlorenen Schuh, einem zerbrochenen Rückstrahler vom Fahrrad, einem Brustbeutel aus hellem geflochtenem Leder. Ich suchte nach etwas, von dem ich nur wusste, dass ich es nicht finden wollte.
    Irgendwann war ich am Ende, sah schmutzigen Asphalt unter den Schuhsohlen und die Koppel vor mir. Den Balkenzaun und die Mauer. Die Einfahrt und den Hof. Das Wohnhaus, die Reithalle und den Stall. Da wusste ich, wohin ich wollte. Das Tor stand offen. Und diesmal ging ich bis zur letzten Box.
     
    Der Boden war dunkel vor Nässe. Kein Hälmchen Stroh war darauf zu sehen, kein Tropfen Blut. Auf dem Gang stand ein leerer Eimer in einer Wasserpfütze. Hennessen schrubbte mit einem groben Besen den Beton ab, als wolle er ihn zerfetzen. Er hatte mich nicht kommen hören, zuckte zusammen, fuhr zu mir herum und fasste sich ans Herz, als ich ihn ansprach. «Jetzt haben Sie mich aber erschreckt, Frau Zardiss.»
    Er hatte Schweißtropfen auf der Stirn, wischte sie mit einem Handrücken ab. «Immer noch nichts?»
    Ich schüttelte den Kopf. Er legte eine Hand vor den Mund. Als er sie wieder fortnahm, sagte er: «Versteh ich nicht. Und was tut die Polizei?»
    «Haben Sie Rena Geld zum Geburtstag geschenkt?»
    Er presste die Lippen aufeinander. Erst nach ein paar Sekunden sagte er: «Nein, nur so ’n kleines Täschchen, was sie sich um den Hals hängen konnte. Meine Schwester macht die Dinger in Handarbeit. Rena wollte sich eins kaufen. Das wäre praktisch, meinte sie, da könnte man immer alles Wichtige bei sich haben und nicht so leicht was verlieren. Ich hab mir nichts dabei gedacht, als sie das sagte.»
    Er wurde eifrig. «Und ich hab den Mund gehalten, Frau Zardiss. Kein Wort habe ich gesagt, wann Mattho abgeholt wird. Irgendwie hat sie’s doch rausgekriegt, hat’s wohl von Udo gehört. Ich konnte mir denken, dass sie am Nachmittag hier auftaucht. Deshalb hab ich dem Engländer gesagt, er muss vormittags kommen. Das hat er aber nicht geschafft.»
    Er lächelte verlegen. «Als es losging mit dem Sturm und dem Regen, dachte ich noch, bei dem Wetter kommt sie vielleicht nicht. Ich hätt’s besser wissen müssen.»
    Er seufzte schwer. «Aber was die Polizei annimmt, ist Blödsinn. Das hab ich diesem Klinkhammer auch gesagt. Er war eben nochmal hier. Sie wusste doch gar nicht, wohin die Fuhre geht. Sie war nicht draußen, hat den Transporter nicht zu Gesicht bekommen. Und sie hat auch nicht gehört, was gesprochen wurde. Hier war sie.» Er zeigte mit einer Hand auf den nassen Beton, streckte sie aus und wies zum Tor. «Und wir standen da vorne.»
    Er lehnte den Besen gegen die Wand der Box und trat zu mir in den Gang hinaus. «Und was die da draußen tun, ist auch Zeitverschwendung. Sie ist nicht durchs Feld. Meine Hand würd ich dafür ins Feuer legen, dass sie zu Udo wollte. Wenn sie da vor dem

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