Die Mutter
sie da, neben der verletzten Stute. Es war Blut auf dem Boden. Deshalb musste das Tier sterben.
Und Klinkhammer hatte Verdacht geschöpft, sah es so wie ich: Hennessen schlachtet seine Zuchtstute ab, um zu vertuschen, was er mit Rena gemacht hat. Hennessen schafft das blutige Stroh hinaus. Dann schrubbt er den Boden wie ein Besessener, damit niemand mehr feststellen kann, ob es menschliches oder tierisches Blut …
Ich bekam keine Luft. Er schob mich vor sich her ins Freie. Sein Wagen stand vor der Garage. Den Autoschlüssel trug er in der Hosentasche. Als er ihn im Zündschloss drehte, meinte er: «Hoffen wir, dass die alte Kiste anspringt. Wenn sie ein paar Tage gestanden hat, hustet sie mir schon mal was.»
Sein Wagen konnte nicht ein paar Tage gestanden haben, dann hätte er in der Nacht auf dem Hof stehen müssen. Ich hätte ihn gesehen. Hennessen musste seit gestern damit gefahren sein. Und wenn er schon versuchte, etwas so Harmloses wie eine Autofahrt zu vertuschen …
Der alte Wagen sprang an. Und Hennessen fuhr mich heim. Wir sprachen während der Fahrt nicht miteinander. Ich konnte nicht sprechen, auch nicht denken. Er bog in unsere Einfahrt, hielt an, als wage er es nicht, mich vor die Haustür zu fahren. Er griff über mich hinweg nach der Tür und öffnete sie. «Hab noch ’ne Menge zu tun, Frau Zardiss.»
Er zögerte kurz, bevor er anfügte: «Ich sollt’s vielleicht nicht sagen,am Ende regen Sie sich nur unnötig auf. Aber zu Klinkhammer hab ich’s auch gesagt. Bevor Rena ihren Kram zusammenpackte, war sie bei Bella. Hat sie jeden Abend gemacht. Sonntag nicht, da war sie noch ein bisschen enttäuscht, nehm ich an. Aber Montag, Dienstag, Mittwoch und gestern auch. ‹Bis morgen, Schönheit›, hat sie gesagt und Bella den Hals geklopft. ‹Du schläfst jetzt fein. Und wenn es morgen trocken ist, darfst du wieder springen.› Genau so hat sie’s gesagt. Und so was sagt man nicht, wenn man weglaufen will, denk ich mir.»
Sein Gesicht hatte die Farbe noch nicht zurückgewonnen, aber er lächelte, gutmütig, zuversichtlich, bieder. Und als sei ihm nicht bewusst, was er gerade gesagt hatte, meinte er: «Nun machen Sie sich mal nicht so große Sorgen. Das klärt sich schon auf.»
Dann fuhr Hennessen zurück und ich schlich ins Haus.
Jürgen kam mir in der Diele entgegen. Wütend, aufgebracht, erregt. Es summte im Haus wie Elektrizität in einem Draht. Im Wohnzimmer standen Klinkhammer und Olgert und diskutierten ein Problem. Sie sprachen leise, ich verstand kein Wort. Anne saß mit bleichem Gesicht in einem Sessel. Und Jürgen – er sah so grau aus wie am Morgen. Nur um die Augen war er rot.
Ich suchte nach meinen Eltern. Sie waren nicht da. Es musste weit nach Mittag sein. Ich dachte, Vater hätte sich wie üblich hingelegt und Mutter leiste ihm Gesellschaft. Sie mussten beide erschöpft gewesen sein nach einer Nacht ohne Schlaf und der Angst um Rena.
Ich wollte sofort mit Klinkhammer über Hennessen reden. Doch bevor ich den ersten Ton über die Lippen brachte, fauchte Jürgen mich an: «Verdammt nochmal, Vera, kannst du nicht mit deinem Hintern zu Hause bleiben, damit hier jemand zur Verfügung steht?»
Klinkhammer machte eine beschwichtigende Handbewegung. Dann erklärte er mir den Grund für die Aufregung. Es hatte jemand angerufen, fünfmal insgesamt, in kurzen Zeitabständen.
Da Olgert auf diverse Rückrufe wartete, war er beim ersten Klingeln an den Apparat gegangen. Er meldete sich mit seinem Namen. Es wurde aufgelegt. Ein paar Minuten später klingelte es erneut. Olgert dachte an den Anruf vom frühen Morgen, vermutete, dass Rena versuchte, sich bei ihrer Familie zu melden, und wollte sie zum Reden bringen. Als ihm das auch beim dritten Mal nicht gelang, wies er Anne mit genauen Instruktionen an, beim nächsten Klingeln an den Apparat zu gehen.
Anne erntete ebenfalls Schweigen, drängte sekundenlang: «Rena, sag doch was, bitte. Wir machen uns so große Sorgen um dich. Du kannst dir nicht vorstellen, was hier los ist. Wo bist du? Dir ist doch hoffentlich nichts passiert? Sprich mit mir, Rena, bitte. Sag mir, wo du bist, es kommt sofort einer, um dich abzuholen.»
Und endlich die Stimme einer Frau. Olgert hatte über den Lautsprecher mitgehört und aufgeschrieben, was gesprochen wurde. Klinkhammer verlangte, dass ich mir Olgerts Notizen anschaute. Von einem Blatt Papier abgelesen, wirkte es weniger dramatisch.
Frau: «Ich muss dich enttäuschen, Herzchen. Hier ist nicht
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