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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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verschlossenen Tor stand   …» Noch ein Seufzer und verständnisloses Kopfschütteln. «Die sollten sich mal gründlich im Dorf umhören.»
    «Wozu?», fragte ich. «Die Feuerwehrleute hätten sie sehen müssen, wenn sie durchs Dorf gegangen wäre. Sie ist gar nicht hier weggegangen! Dafür lege ich meine Hand ins Feuer! Hier kann man schießen und schreien und niemand hört etwas. Sie haben sie getötet!»
    Hennessen starrte mich an, schüttelte abwehrend den Kopf, schluckte heftig und murmelte: «Frau Zardiss, was sagen Sie denn? Ich doch nicht! Ich könnte doch so ’nem Mädchen nichts tun!»
    Eine Minute, vielleicht länger, standen wir uns schweigend gegenüber. Ich hielt seinen Blick fest, bis er den Kopf senkte. Obwohl es nicht sehr hell war im Stall, sah ich, dass er blass wurde. Sonst war sein Gesicht rot, ein breites, von Sonne und Wind kräftig gefärbtes, bieder wirkendes Gesicht. Und jetzt sah es aus, als ob ihm das Blut aus dem Kopf in tiefere Regionen sackte.
    Ich stellte mir vor, wie es gewesen sein könnte. Stroh auf dem Boden, ein verletztes Tier, der Tierarzt, Rena und er. Der Arzt geht. Seine Schwester kommt in den Stall. Rena rafft ihre Sachen zusammen. Feuchte Kleidung vom Hinweg, zum Trocknen über Holzbalken gehängt. Rena stopft alles in die Tüte. Er verlangt, dass sie auf mich wartet, greift nach ihrem Arm   …
    Er griff nach meinem Arm, zog die Hand sofort wieder zurück und sagte: «Na, kommen Sie. Ich fahr Sie nach Hause. Sie sind ja ganz durcheinander. Da sollten Sie nicht rumlaufen.»
    «Warum haben Sie Rena nicht nach Hause gefahren?»
    Er legte den Kopf schief, schaute mich an, als wolle er sich entschuldigen. Dann hob er die Achseln, ließ sie wieder sinken und seufzte. «Wir haben hier all die Stunden gesessen. Ich hab nicht mitgekriegt, dass es draußen noch so schlimm war. Und ich wollte Tanita nicht allein lassen.»
    «Aber Sie haben die Stute allein gelassen.»
    Er nickte schwer, schaute betrübt über seine Schulter auf den nassen Boden. «Ja, und den Stall offen. Und dafür könnt ich mich in den Hintern treten. Aber er ist ja immer offen. Wer rechnetdenn mit so was? Sie waren nochmal hier in der Nacht, sagte Klinkhammer. Wann?» Es klang lauernd.
    «Das wissen Sie doch. Bevor wir in die Kneipe kamen.»
    «Danach nicht mehr?» Es klang immer noch lauernd. «Als ich nämlich von Friedel zurückkam, hab ich nochmal nach Tanita geschaut. Da war sie in Ordnung. Der Doktor meinte ja auch, es wäre wohl doch nicht so schlimm, wie wir zuerst angenommen haben. Und heut Morgen   …»
    Seine Stimme kippte, sein Adamsapfel ruckte auf und ab. «Als ich hier reinkam. Alles voller Blut. Die Därme hingen ihr raus. Das arme Ding. Es muss zwischen drei und vier passiert sein. Sagen Sie’s mir lieber jetzt, wenn Sie nochmal hier waren. Im Moment würd ich’s vielleicht sogar verstehen.»
    Das Ungeheuerliche seiner Worte ging an mir vorbei, ohne dass ich es greifen konnte. «Wir hatten was anderes zu tun», sagte ich.
    Er starrte mich an, als wolle er sich in mein Gehirn bohren. Nach ein paar Sekunden nickte er schwer und meinte: «Ja, hatten Sie wohl. Aber ich begreif das nicht. So ’ne Sauerei, wenn ich das verdammte Schwein erwische! Wie kann sich nur einer so an einem wehrlosen Tier vergreifen? Und warum, zum Teufel? Ich versteh nicht, dass ich nichts gehört hab.»
    Seine Schultern strafften sich. Wieder griff er nach meinem Arm, und diesmal hielt er ihn fest. Mir war kalt. Seine Hand war wie eine Eisenklammer. In meinem Hirn entstand wieder das Bild: Er greift nach Renas Arm. Er sagt: «Bleib hier, deine Mutter ist bestimmt schon auf dem Weg.»
    Mir war so kalt, dass mir die Zähne aufeinander schlugen. Er hatte eine halbe Stunde Zeit. Und er wusste genau, dass ich nicht bis zur letzten Box kommen würde. Keinen Fuß in den Gang setzen. Niemals vorbei an den Pferdeköpfen. Vera hat Angst vor großen Tieren.
    Ich konnte seine Hand nicht abschütteln, sah im Geist noch einmal, wie er sie an der Hose abwischte, als er in der Nacht auf michzukam. Meine Knie waren steif. Alles verspannt und verkrampft. Bitte, das nicht! Nicht Hennessen. Sie kannte ihn seit zwei Jahren, war Tag für Tag mit ihm zusammen. Für sie war er ein gutmütiger Mann, dem sie vertraute. Bitte, das nicht! Nicht so viel Zerstörung.
    Aber ich sah es vor mir. Keinen Grund, den nicht. Wer kennt schon die Gründe? Oft wissen nicht einmal die, die es getan haben, wie es geschehen konnte. Es geschieht eben. Dann lag

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