Die Mutter
um nach Hamburg zu kommen.
«Haben Sie nicht gehört, was Ihr Kollege sagte?» Ich weiß nicht, ob ich schrie oder weinte. Ich weiß nur noch, dass mir meine Stimme in den Ohren gellte. «Hennessen hat sie umgebracht.»
Olgert zog mich an sich, ich fühlte seine Hand im Rücken und seinen Atem am Ohr. «Na, na, na. Nun wollen wir nicht gleich das Allerschlimmste annehmen.» Dann erzählte er mir etwas von einem wunden Herzen, das sich nicht um die Geschwindigkeit eines Pferdetransporters und nicht um sechs Stunden Vorsprung scherte.
4. Kapitel
Polizisten! Jahrelang hatte ich an sie geglaubt wie ein Kind an den Weihnachtsmann und auf das vertraut, was Vater suggerierte: Sie können keine Wunder vollbringen, aber sie tun ihre Arbeit, und sie tun sie nach besten Kräften. Was man so unter besten Kräften versteht!
Ich will mich nicht beschweren. Natürlich haben sie ihre Arbeit getan. Und ich müsste vermutlich froh und dankbar sein, dass ein Kriminalhauptkommissar und ein Kriminalkommissar anrückten, noch bevor offiziell eine Vermisstenanzeige vorlag. Aber was sie veranstaltet haben …
Es ging hin und her zwischen grauenhaften Andeutungen, wilden Spekulationen und hirnrissigen Beschwichtigungsversuchen. Eine Blutlache im Reitstall? Aber darüber regen wir uns doch nicht auf, liebe Frau Zardiss. Wir kümmern uns jetzt erst mal um das Rad Ihrer Tochter. Selbstverständlich schauen wir auch nochmal im Stall nach, der Form halber. Aber für das Blut gibt es eine simple Erklärung. Da wurde ein Pferd erschossen.
Womit denn? Mit einer Kanone? Klinkhammer hatte von einer riesigen Lache gesprochen. Und Olgert tätschelte meinen Rücken, grinste zuversichtlich und erzählte von einem jungen Mädchen, das sich aus Trotz, Enttäuschung oder Kummer in stürmischer Nacht aufmachte, mit seinem Fahrrad den Schimmelreiter zu spielen. Es war lächerlich, es war haarsträubend.
Ich versuchte mir einzureden, es sei eine gute Lösung. Schmerzlos für alle Beteiligten. Jetzt brauchen wir nur noch ein aktuelles Foto. Dann tätigen wir ein paar Anrufe. Die Hamburger Kollegenschauen sich im Hafen um, überprüfen die Passagierlisten der Englandfähre. Und dann schicken sie uns das Mädchen zurück. Doch so funktionierte es nicht.
Ich kannte Rena. Sie hätte das nicht gemacht. Sie war vernünftig. Sie wusste, dass man sich manches vorstellen, aber nicht durchführen konnte. Und sie hatte keinen Hang zum Abenteuer, auch kein Geld, um eine Schiffspassage zu bezahlen. Die Zeiten der blinden Passagiere waren ja wohl vorbei.
Olgert verbrachte eine halbe Stunde in der Diele, zitierte einen Streifenwagen zu uns, um ein paar Fotos von Rena abzuholen für die Presse und die Kollegen. Anschließend stürzte er sich noch einmal auf ihre Schultasche und erkannte schon nach kurzem Blättern mit sicherem Blick, dass sie in Englisch recht gut stand. Der letzte Beweis für seine Theorie. Nur konnte er mir nicht in die Augen sehen, als er ihn vorbrachte.
Dann telefonierte er sich zwischen der Auskunft und den dort erfragten Rufnummern bis in das Büro der Fährlinie. Nachdem auch das erledigt war, setzte er sich mit Renas Tagebüchern ins Wohnzimmer, um näher beim Telefon zu sein, wenn die Rückrufe eingingen.
Mutter war mit Eimer und Ledertuch in den ersten Stock gezogen. Blanke Fenster sind Mutter immer das Wichtigste gewesen. Die Visitenkarte der Hausfrau, jeder, der am Haus vorbeigeht, wirft einen Blick darauf. Saubere Scheiben und weiße Gardinen! Wie es in der Stube aussieht, geht keinen etwas an. Aber vielleicht wollte sie sich nur beschäftigen, um nicht grübeln, sich keine Vorwürfe machen zu müssen. Ebenso wie Vater, der, nachdem er unseren Hof und Rasen von allem befreit hatte, was nicht darauf gehörte, die Sturmschäden im Garten inspizierte.
Früher war es Vaters Traum gewesen, einen Gemüsegarten zu haben. Säen und ernten war in seinen Augen eine ehrliche Arbeit. Zuschauen, wie die Pflänzchen mit etwas Sonne, Regen und Gottes Hilfe aus dem Boden sprossen. Solange er seinen Beruf ausübte,hatte ihm die Zeit gefehlt. Und nach der Pensionierung musste er feststellen, dass niemand seine ehrliche Arbeit zu schätzen wusste.
Mutter fühlte sich überfordert mit Kisten voller Kopfsalat, Blumenkohl und Erbsenschoten. Anfangs versuchte er, den größten Teil seiner Ernte bei mir loszuwerden. Nur konnte ich mich nicht begeistern für frisches Gemüse, das man gründlich auf Raupen und anderes Ungeziefer untersuchen musste, ehe
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