Die Mutter
meiner Patientinnen ist psychisch gestört. Es ist nicht gravierend. Es wird nur manchmal lästig. Ist das damit geklärt?»
«Nein», sagte Klinkhammer und klemmte die langen Haarsträhnen hinter den Ohren fest. Jetzt wird es ernst, dachte ich. Er hört auf, mit seinen Haaren zu spielen. Jetzt nagelt er ihn fest.
Jürgen seufzte, richtete den Blick zur Zimmerdecke. Ihm schien nicht aufzufallen, dass er sich mit seiner Erklärung selbst widersprochen hatte. «Herrgott nochmal. Sie wollen’s ganz genau wissen,was? Na schön, die besagte Patientin hatte vor vier Jahren einen Abort und gibt mir die Schuld. Ich hatte versäumt, sie darauf hinzuweisen, dass bestimmte Sportarten einer Schwangerschaft nicht förderlich sind. Man kann nicht immer an alles denken. Und man setzt auch voraus, dass eine Frau, die sich ein Kind wünscht, nicht weiterhin Kraftsport betreibt. Die Sache ist lächerlich, aber es hat sich bei ihr zur Psychose entwickelt. Alle naselang taucht sie auf und ergeht sich in Vorwürfen. Meist gelingt es mir, sie zu beruhigen. Gestern Abend war sie da. Nur hatte ich nicht die Zeit, mich sofort um sie zu kümmern.»
Da begriff ich endlich und war erleichtert. Eva Kettler! Ihre Fehlgeburt hatte Jürgen einmal erwähnt. Dass sie ihm die Schuld gab, hatte er mir nie gesagt. Und wenn er geglaubt hatte, Klinkhammer mit seiner Erklärung zu beschwichtigen, wurde er enttäuscht.
Das Gegenteil war der Fall. Klinkhammer stürzte sich darauf, sprach von Auge um Auge. Ich habe mein Kind durch deine Schuld verloren, jetzt nehme ich dir dein Kind. Jürgen winkte mehrfach ab. Unsinn. Nur blödes Geplapper ohne Sinn und Zweck und ohne einen Gedanken an eventuelle Konsequenzen.
Ich konnte mir auch nicht anhören, wie Klinkhammer sich festbiss.
«Es war Hennessen», sagte ich. «Zuerst hat er Rena umgebracht, er hat sie mit seinem Kombi weggeschafft, sie und ihr Rad. Der Wagen sprang nämlich eben sofort an. Dann war er in Friedels Kneipe, und dann hat er das Pferd getötet.»
Jürgen runzelte missbilligend die Stirn. «Red keinen Quatsch, Vera!» Dann nahm er sich ein Brot von der Platte, biss hinein.
«Er hat die Stute geschlachtet», erklärte ich. «Um mit ihrem Blut zu vertuschen, was er mit Rena gemacht hat.»
Jürgen schüttelte unwillig den Kopf. «Vera, jetzt spinn hier nicht rum. Geschlachtet!» Er schaute Klinkhammer an. «Ich denke, er hat das Tier erschossen?»
Klinkhammer nickte bedächtig und betrachtete die belegten Brote mit begehrlichem Blick. «Er hat ihm den Gnadenschuss gegeben, wie man so schön sagt. Ich habe mit dem Abdecker gesprochen. Der Mann nannte es eine blindwütige Aktion. Da muss jemand mächtig wütend auf Hennessen gewesen sein. Aber seine Wut an einem hilflosen Tier auszulassen …» Den Rest ließ er offen, beugte sich vor, griff zu und ließ die Augen nicht von Jürgen, während er von seinem Brot abbiss.
Jürgen goss sich Kaffee ein. «Was schauen Sie mich an? Sie glauben doch nicht etwa, ich hätte …» Auch Jürgen sprach den Satz nicht zu Ende, sagte stattdessen: «Als wir im Stall waren, war die Stute in Ordnung. Sie schlief.»
Klinkhammer lächelte nichtssagend. «Der Tierarzt hatte ihr ein Betäubungsmittel gespritzt. Deshalb hat Hennessen vermutlich auch nichts gehört. Dass die anderen Tiere ebenfalls keinen Laut von sich gegeben haben, wundert mich allerdings. Normalerweise wäre dieses Intermezzo nicht geräuschlos über die Bühne gegangen. Ein Fremder kann nicht im Stall gewesen sein. Waren Sie häufig im Stall, Herr Doktor?» Er lehnte sich zurück, biss erneut von seinem Brot ab und kaute genüsslich.
Jürgen grinste unfroh. «Dreimal. Das erste Mal vor zwei Jahren, als ich mit Hennessen über Reitstunden sprach. Das zweite Mal vor drei Wochen, als ich das Geburtstagsgeschenk für Rena aussuchte. Und in der vergangenen Nacht. Da habe ich die Lodenjacke getragen, die an der Garderobe hängt. Wenn Sie wollen, können Sie die Jacke mitnehmen und untersuchen lassen.»
In der Diele klingelte das Telefon. Jürgen erhob sich. Mit dem Brot in der Hand ging er hinaus und nahm den Hörer ab. Ich hörte nur seine Stimme. «Zardiss.» Eine kurze Pause. Dann sagte er: «Ja, ich weiß. Und das war sehr dumm von Ihnen. Nein, heute ist es völlig ausgeschlossen. Ich muss Sie bitten, sich bis Montag zu gedulden.» Noch eine Pause. Er war nervös, gereizt, sein Ton machte es deutlich. «Ich weiß nicht, wie es mit den Terminen aussieht.Warum rufen Sie nicht noch einmal
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