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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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anschreiben?»
    Sie winkte ab.
    Ich fuhr noch eine Weile im Dorf herum. Runter zu Friedels Kneipe. Sie war geschlossen und auf mein Klopfen öffnete niemand. Wo Fred König wohnte, wusste ich nicht. Nach ScherersHaus musste ich eine Weile suchen und traf auch dort niemanden an. Und auf Hennessens Hof stand Klinkhammers Auto.
    Dreimal fuhr ich an Gretchens Haus vorbei. Und dreimal schaffte ich es nicht, auf die Bremse zu treten. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich Gretchen nicht mochte und ihren Lebenswandel verabscheute. Es war nur   … Man ignoriert einen Menschen nicht zwanzig Jahre lang, um plötzlich vor seiner Tür zu stehen und zu bitten: «Hilf mir!»
    Hilf mir! Du kennst jeden Stein in diesem Kaff und jeden krausen Gedanken. Du weißt genau, wer es mit wem treibt, wer sich besoffen hinters Steuer setzt, wer die Katzen vergiftet, wer wo was erzählt. Sag mir, was mit Hennessen los ist. Warum ist Jürgen überzeugt, dass er es nicht gewesen sein kann? Warum traut auch mein Vater ihm nichts Böses zu? Der Mann ist vierundfünfzig Jahre alt und zu seinem Hof gehört eine Menge Land. Aber seine Schwester führt ihm den Haushalt. Warum ist er nicht verheiratet? Was stimmt nicht mit ihm? Hilf mir!
    Das kann man erst, wenn man am Ende ist.
    Als ich heimkam, war es halb zwei. Anne stand am Herd und brutzelte Eier. Sie drehte mir den Rücken zu. Jürgen saß vor einem Teller mit Brotscheiben am Tisch. Er fuhr mich an: «Herrgott, Vera, wo treibst du dich herum? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst mit deinem Hintern zu Hause bleiben?»
    Auf der Abtropffläche der Spüle stand die Schüssel mit Rosenkohl, daneben lagen ein Häufchen Kartoffelschalen und ein Schälmesser, ein halb mit Kartoffeln gefüllter Topf stand an der Seite.
    «Wo ist Mutter?»
    «Im Krankenhaus», fauchte Jürgen.
    Vater hatte einen Schlaganfall erlitten. Wie Jürgen es einschätzte, nicht den ersten. Der erste dürfte ihn bereits in der Nacht getroffen haben; ein leichter, ohne verheerende Auswirkungen, er verursachte nur Kopfschmerzen und Schwindel und hinterließ ein Taubheitsgefühl im Arm. Und dann kam der zweite.
    Wäre Anne nicht früher heimgekommen – sie hatte nach der dritten Stunde die Schule verlassen und den Linienbus genommen   –, vielleicht wäre Vater gestorben. Mutter ging nicht ans Telefon, auch nicht, um Notarzt und Krankenwagen zu rufen. Das hatte Vater anscheinend selbst noch versucht, bevor er zusammenbrach.
    Als Anne die Diele betrat, lag er auf dem Boden. Mutter kniete neben ihm und jammerte: «Dolf, sag doch etwas. Was soll ich tun, Dolf? Sag mir, was ich tun soll.» Und der Telefonhörer baumelte an der Schnur.
    Anne hatte alles Notwendige veranlasst, auch Jürgen alarmiert. Er hatte es nicht geschafft, rechtzeitig daheim zu sein. Als er auf den Hof fuhr, war der Krankenwagen bereits weg.
     
    Anne sah verweint aus und Jürgen   … Wie er da am Tisch saß, den Zorn des Gerechten verströmend; ich glaube, ich hasste ihn. Weil ich plötzlich denken musste: Du mit deinem verdammten Tick! Bauernhof und Landleben. Friede, Freude, Eierkuchen. Dass ich nicht lache. Da ging es doch nur um eines! Du wolltest da der Herr sein, wo du früher nicht einmal der Knecht warst. Nur Gretchens Balg, der Dorn im Auge des alten Reuther.
    Wenn wir in der Stadt geblieben wären, wäre das nicht passiert. Vielleicht wäre Rena noch eine Weile mit Nita Kolter und dieser Clique herumgezogen. Zebrafrisur und schwarz lackierte Fingernägel. Es wäre vorbeigegangen, ich bin sicher. Ich hätte es schon irgendwie in den Griff bekommen. Oder sie hätte von selbst erkannt, dass hinter Nitas großer Klappe nur Verlorenheit steckt. Irgendwann hätte sie es begriffen, auch ohne Pferde.
    Ich wollte nicht hierher. Ich hatte Angst, dass deine Mutter uns auf die Pelle rückt. Dass sie sonntags unangemeldet zum Kaffee erscheint, mit ihrem jeweiligen Pflegefall im Schlepptau. Und ich hatte Angst, mit meiner Mutter unter einem Dach zu leben. Ich wusste, dass es nicht funktionieren konnte, dass ich meineKinder nicht einem Stein überlassen durfte. Ausgelacht hast du mich.
    «Genau das ist der springende Punkt, Vera. Deine Kinder! Machen wir uns nichts vor. Anne ist in Ordnung und sie kommt blendend zurecht mit deiner Mutter, sie ist tüchtig und ehrgeizig, sie wird ihren Weg machen. Aber welchen Weg Rena macht, steht noch in den Sternen. Seit Monaten höre ich von dir nichts anderes mehr, als dass du nicht weißt, wie du mit ihr umgehen sollst. Ich

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