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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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müssen. Rena war mit André Menke und Nita Kolter auf Reisen gegangen. Für Klinkhammer stand es fest.
    Er sprach minutenlang von Josefine Bartel, ehe ich begriff, wen er meinte: Hennessens Schwester. Sie hatte am Donnerstagabend ein merkwürdiges Wesen beobachtet. Es hatte ausgesehen wie einer von den Vampiren, die sie sich gerne im Fernsehen anschaute. Schneeweißes Gesicht, rote Augen, langer schwarzer Umhang und schwarz lackierte Fingernägel von einer Länge, wie Josefine Bartel sie noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
    Zum ersten Mal bemerkt hatte sie das wunderliche Geschöpf, als Hennessen kurz vor sechs ins Haus kam, um telefonisch nachzufragen, wo der Tierarzt blieb. In den Minuten war Rena allein im Stall. Und genau daher kam das Wesen. Aber es verschwand so schnell Richtung Straße, dass Josefine Bartel vom Küchenfenster aus nicht viel mehr sah als den wehenden Umhang und dachte, sie habe Halluzinationen.
    Kurz nach neun tauchte das Wesen erneut auf und erwies sich als äußerst real und rotzfrech. Josefine Bartel wollte im Stall nach dem Rechten sehen, und gerade als sie das Haus verließ, kam es zur Einfahrt hereingeschossen und rief: «Pferdchen!» Das verstand Josefine Bartel genau.
    Dann bemerkte das Geschöpf im schwarzen Umhang sie, stutzte und fragte mit breitem Grinsen: «Wie lange braucht so ’n Biest denn zum Abkratzen?»
    Frau Bartel rief laut nach ihrem Bruder, was aber vermutlich in Sturm und Regen unterging, und empfahl, das Anwesen auf der Stelle zu verlassen, anderenfalls müsse man mit einer Mistgabel nachhelfen. Daraufhin verzog sich der kleine Vampir mit den Worten: «Bepisst euch doch, ihr Scheißer.»
    Nita Kolter, wer sollte es sonst gewesen sein?
    Nita Kolters Mutter hatte zu Freunden die gleichen Auskünfte geben können wie wir. Keine! Regina Kolter war in Urlaub gewesenund hatte erst am Vormittag von Klinkhammer erfahren, dass ihre Tochter ihre Abwesenheit genutzt hatte, ebenfalls zu verschwinden.
    Und er warf uns mit diesem Weib in einen Topf! Geld! Alles, was zählte, war Geld! Es interessierte uns einen Dreck, wie unsere Kinder sich fühlten. Wenn sie etwas brauchten, bekamen sie ein paar Scheine in die Finger gedrückt. Da konnten sie sich dann scheibchenweise einen billigen Ersatz für das kaufen, was wir ihnen vorenthielten.
    Er hatte von Gretchens Geburtstagsgeschenk erfahren. Otto hatte das Maul nicht halten können. Hatte in bester Absicht berichtet, wie Rena sich gefreut und verkündet hatte: «Das ist der Grundstein für meinen Reitstall. Jetzt spare ich. Und wenn ich genug zusammenhabe, hole ich Mattho zurück.»
    Regina Kolter hatte keine Angaben machen können oder wollen, mit welcher Summe ihre Tochter auf Reisen gegangen war. Nita verfügte über ein eigenes Konto, auf das die Frau Mama regelmäßig das Taschengeld einzahlte. Klinkhammer sprach von restlos abgeräumt, wie viel damit gemeint war, sagte er nicht. Bei André Menkes Eltern fehlte ein Sparbuch mit einer Einlage von sechstausend Mark. Und Klinkhammer fand es bezeichnend, dass wir ihm die fünf Scheine von Gretchen verschwiegen hatten.
    Es tat entsetzlich weh. Ich sah uns am Frühstückstisch sitzen, hörte Jürgen fragen, ob er nicht den Beruf verfehlt hätte. Friseur hätte er werden sollen, da könne er Köpfe waschen, wenn ihm danach sei. Uns sei nicht bekannt gewesen, dass Rena noch engen Kontakt gehabt habe zu diesen Punkern.
    Klinkhammer blieb sachlich. «Das sind keine Punker. Es sind junge Menschen, die an der Welt verzweifeln. Dass es Ihnen nicht bekannt war, kann ich mir denken. Was war Ihnen überhaupt bekannt?»
    Er verwies auf Renas Tagebücher. «Ich möchte wetten», sagte er und deutete auf Olgert, «dass mein Kollege in den letzten Tagenmehr über die Gemütsverfassung Ihrer Tochter erfahren hat als Sie in den vergangenen sechzehn Jahren, Herr Doktor.» Die letzten beiden Worte klangen nach Galle.
    Dann gingen sie. Jürgen war wütend, weil ich ihnen Renas Tagebücher überlassen hatte. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass sich ein kleinklarierter Beamtenschädel über unsere Privatsphäre hermachte. Er tobte so lange, bis Anne weinend nach unten kam.
    «Wenn ihr noch lange streitet, haue ich auch ab.»
    Jürgen nahm sie in die Arme, entschuldigte sich. Bei ihr, nicht bei mir. Um halb drei verließ er das Haus, er musste zurück in die Praxis. Und er kochte immer noch vor Wut.
    Ich nahm die Tagebücher vom Couchtisch und trug sie hinauf, legte sie zurück in den Nachttisch,

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