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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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anonymen Anruf anhören, den die Frankfurter Polizei routinemäßig aufgezeichnet hatte. Sie sollte sagen, ob sie die Stimme kannte und ob das Weinen identisch war mit dem, was sie beim ersten Anruf am Morgen nach Renas Verschwinden gehört hatte.
    Olgert wollte auch nicht nur herumstehen und wies darauf hin, dass die Stimme äußerst schlecht zu verstehen sei. Er bat Anne um erhöhte Aufmerksamkeit.
    Ihr angespanntes Gesicht sehe ich heute noch vor mir, die vor Konzentration gerunzelte Stirn, die leicht zusammengekniffenen Augen, die meinem Blick auswichen.
    Es war ein Chaos an Geräuschen. Klirren, Klingeln, Rumpeln, eine nervtötende Melodie, Stimmengewirr, lautes Lachen und unverständliches Gebrüll im Hintergrund. Und über allem das Schluchzen, Schniefen und Stammeln, kaum eine verständliche Silbe.
    Anne bat, es noch einmal hören zu dürfen. Ich verstand auchbeim zweiten Durchlauf nur Fragmente. Gegen meinen Willen musste ich lachen, als mir einfiel, wie Mutter die Geräuschkulisse interpretiert hatte, die aus dem herabbaumelnden Hörer gedrungen war. Eine große Gesellschaft!
    Mutter hatte dabei vermutlich etliche Damen und Herren in Abendgarderobe mit Sektgläsern in den Händen vor sich gesehen, ungeduldig auf den Chauffeur wartend, der sie ins Konzert fahren sollte. Ich sah bei den Tönen vom Band besoffene, verschwitzte Kerle vor dem Tresen einer billigen Kneipe; an einer Wand hing ein Spielautomat, der ihr Grölen mit einer Kaskade aus Bimmeln, Schrillen und Gedudel zu übertönen versuchte. Neben dem Spielautomaten hing das Telefon. Und am Telefon stand   … «Nita», sagte Anne nach dem dritten Durchlauf. «Ich glaube, es ist Nita. Ich bin nicht ganz sicher, so oft hatte ich nicht mit ihr zu tun, und sie ist wirklich schlecht zu verstehen. Aber dieser Ausdruck   – Yellowman   –, so hat sie Menke in letzter Zeit genannt, weil er sich die Haare hatte färben lassen. Meine Schwester sprach davon.»
    Ich hatte nichts gehört von Yellowman. Ich hatte aus dem Wust nur ein Wort deutlich herausgefiltert: Pferdchen. Und dahinter ein paar von Schluchzern zerhackte Silben, die in meinen Ohren wie «…   wollte das nicht tun   …» geklungen hatten.
    Olgert nickte, als sei ihm die Sache mit Menkes Haaren bestens bekannt. «Sind Sie sicher, dass es nicht Ihre Schwester ist?»
    Anne nickte energisch.
    Olgert fragte: «Und das Weinen, erkennen Sie es wieder?»
    Anne schürzte die Lippen, hob die Schultern an und ließ sie wieder sinken. «Es klingt so ähnlich wie das von Freitagmorgen. Das heißt, jetzt, wo ich es nicht mehr höre, klingt es so ähnlich. Gerade dachte ich noch, es wäre ganz anders. Aber – ich meine – wenn jemand so fix und fertig ist und wenn er einmal etwas sagt und einmal nicht, dann kann man nicht   …» Noch ein hilfloses Schulterzucken und ein verhaltenes Kopfschütteln. «Es tut mir Leid, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.»
    Klinkhammer bedankte sich bei Anne und wandte sich mir zu. Er setzte eine ernste Miene auf, sein Tonfall wurde beschwörend. Seine Hände kamen nicht so schnell nach, wie ihm die Haare ins Gesicht fielen. Er wechselte sich mit Olgert ab, und sie überboten sich gegenseitig mit ihren Beschwichtigungen.
    Liebe Frau Zardiss, die Kleidung beweist
überhaupt
nichts! Blut von drei Personen, das steht fest. Zwei Männer und
ein
Mädchen! Ein drogensüchtiges Mädchen, Nita Kolter hat gefixt, das wissen wir mit Sicherheit. Wir haben in ihrem Zimmer diverse Hinweise gefunden. Und wir haben jetzt einen Zeugen, Frau Zardiss! Ein junger Mann, der wenige Minuten nach zehn an dem Donnerstagabend an Hennessens Hof vorbeifuhr.
    Unser Zeuge sah den grauen Kleinbus bei der Einfahrt, er sah einen Mann und ein Mädchen dabeistehen. Das Mädchen trug einen gelben Umhang mit Kapuze. Der Mann hob ein Rad in den Bus und schloss die Hecktür. Dann ging er zur Fahrertür. Das Mädchen folgte zwar. Aber dass es einstieg, hat unser Zeuge nicht beobachtet.
    Wie denn auch? Da war eine lang gezogene Kurve, da war jede Menge Wasser auf der Fahrbahn. Da hatte ein Autofahrer Besseres zu tun, als einen Mann und ein Mädchen im Regen zu betrachten.
    Nein, da irrte ich mich. Der Zeuge hatte die Szene aufmerksam im Rückspiegel verfolgt, weil es für ihn so aussah, als brauchte das Mädchen Hilfe. Es hielt nämlich mit beiden Händen ein Bündel gegen die Brust gepresst, vermutlich die Plastiktüte. Und der Mann versuchte, das Bündel an sich zu nehmen. Sie rauften darum, der Mann

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