Die Mutter aller Stürme
sind
zufrieden.
Spaßeshalber stellt er ihr folgende Frage: Werden die
Menschen negativ darauf reagieren, daß man sich um sie
kümmert, wenn sie erst einmal herausgefunden haben, von wem
diese Fürsorge ausgeht und wie sie ausgeübt wird?
Sie antwortet, daß die gegenwärtigen Menschen
sehr wohl negativ darauf reagieren werden, aber zu dem Zeitpunkt, an
dem die Menschen das überhaupt begreifen, werden sie sich so
verändert haben, daß man ihnen diese ganzen Aufgaben
rückübertragen kann, wenn sie sich denn wirklich selbst um
Wirtschaft und Politik kümmern wollen.
Louie hält das für einen guten Witz, und über
Zehntausende von Antennen ertönt Gelächter. Sie sind sich
einig, daß sie diesen Witz, so gut er auch ist, Mary Ann nicht
erzählen sollten. Wie dem auch sei, sie haben jede Menge Zeit,
darüber zu reden, mehr Zeit als die gesamte
Menschheitsgeschichte, bevor die Menge den Gipfel von Monte Alban
erreicht hat.
Während Berlina Jameson, den Arm um Naomi Cascade gelegt, im
überfüllten Studenten-Zentrum sitzt, klingelt ihr Faxmodem,
und sie lädt ein Verzeichnis mit Dateien in den Computer in
ihrem Rucksack.
Überrascht stellt sie fest, daß es sich bei den ersten
Dateien um Meldungen vom FBI und dem Justizministerium handelt, die
sie eigentlich gar nicht zu Gesicht bekommen dürfte. Sie sucht
sich ein stilles Eckchen und sichtet die Daten.
Es handelt sich um eine Reihe kurzer und prägnanter
Dienstanweisungen, welche sich auf die Morde beziehen; in Anbetracht
der Tatsache, daß die Regierung wegen des Verlustes der meisten
Unterlagen ihre volle Handlungsfähigkeit noch nicht
wiedererlangt hat, ist es bemerkenswert, daß diese Anweisungen
überhaupt ergangen sind.
Sie suchen bestimmte Leute und Beweismittel – es wird
wahrscheinlich der größte Indizienprozeß aller
Zeiten, und Berlina denkt schon über die Kameraführung von Sniffings in diesem Prozeß nach; das ist ihrer Meinung
nach auch der Grund, weshalb man ihr diese Daten überhaupt
geschickt hat.
Die Fliesen, auf denen sie sitzt, sind ungemütlich kalt, und
sie windet sich ein wenig. Naomi bringt ihr eine Tasse heiße
Suppe, und sie trinkt gierig. Das Faszinierende ist, daß
irgendein Beamter einen regelrechten Kreuzzug inszeniert haben
muß, weil so viele Unterlagen in Washington vernichtet wurden
– zur Zeit bittet Präsidentin Großmutter in den
Nachrichten die Postbeamten, alle ihnen erinnerlichen Namen von
Leuten zu notieren, die noch die alten Sozialhilfeschecks bekamen, so
daß man zumindest diesen Teil des Datenmaterials schon einmal
rekonstruieren kann. Außerdem werden hohe Belohnungen ausgelobt
für Leute, die illegale, durch unbefugtes Eindringen in
Regierungscomputer erworbene Daten besitzen; nicht etwa, um diese
Leute strafrechtlich zu belangen, sondern um Kopien der
regierungseigenen Datenbestände zurückzukaufen.
Wer auch immer dieser Verrückte sein mag, dieser vollkommen
Verrückte mußte sich jeden Namen, jedes Datum, jeden Ort,
jede Dokumentennummer gemerkt haben, von Washington nach Charleston
geeilt sein und sich dann hingesetzt und diese Anweisungen erteilt
haben. Ein ehrfurchtsvoller Schauer erfaßt sie – was
für ein Reporter hätte dieser Kerl (oder eher diese Frau,
denn für Berlina ist Gründlichkeit gleich Frau) werden
können!
Wahrscheinlich war es dieselbe Person, die den Bericht mit dem
Titel ›Ein Bericht über die Position der wichtigsten
Augenzeugen und Beweismaterial in den Mordfällen Harris Diem,
Diogenes Callare und Carla Tynan‹ geschrieben hat, aber leider
scheint die Zeile mit der Unterschrift gelöscht worden zu
sein.
Fasziniert liest sie weiter. Das gibt sicher einige Folgen
für Sniffings, und vielleicht wird sie Präsidentin
Hardshaw für ein Interview gewinnen, wenn sich alles ein wenig
beruhigt hat.
Von ihrer Bank liegt ein Kontoauszug vor – einige der
früheren Ausgaben von Sniffings hatten eine Reichweite
von bis zu 100 Millionen Zuschauern, und viele dieser Zuschauer holen
sich jetzt diese Ausgaben wieder auf den Bildschirm (nun, bis der
Himmel wieder aufklart, gibt es auch nicht viel zu tun; dann ist es
nur sinnvoll, im Warmen zu sitzen, sagt sie sich). Sie ist nun
reich – und ihre Bank befindet sich im schönen,
gemütlichen, sicheren und unbeschädigten Calgary.
Sie steckt den Computer wieder in den Rucksack und schaut auf den
Parkplatz hinaus, wo der heftige Regen noch immer wie ein Wasserfall
an ihrem neuen Kleinbus hinabrauscht, der schon bis zu den
Rädern im
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