Die Mutter der Königin (German Edition)
aus dunklen Augen ohne Arg an. «Ich weiß es nicht», antwortet er, dabei weiß er es genau. «Ich glaube nicht, dass es von Bedeutung ist», fährt er fort, dabei ist es natürlich von Bedeutung. «Und außerdem gibt es keinen Beweis.» Das stimmt. Bitte, lieber Gott, sorg dafür, dass es keinen Beweis für eine Übertretung gibt. «Aber der Duke of York hat den Rat aufgebracht. Nun muss der König das Kind sehen und es wenigstens einmal in den Arm nehmen.»
Ein Rat aus zwölf Lords kommt zum Palast, um mit dem Säugling den Fluss hinaufzufahren und ihn seinem Vater zu präsentieren, Somerset an ihrer Spitze. Ich soll sie begleiten, zusammen mit den Ammen und Kinderfrauen. Anne, die Duchess of Buckingham, die Patin des Babys, schließt sich uns an. Es ist ein kalter Herbsttag, aber dicke Vorhänge schirmen die Barkasse vor der Kälte ab. Das Kind ist gepuckt und in Felle gewickelt. Die Kinderfrau sitzt im Heck und hält den Jungen auf dem Schoß, die anderen Frauen um sie herum, die Amme direkt neben ihr. Zwei Barkassen folgen uns: In der einen sitzt der Duke of Somerset mit seinen Freunden, in der anderen der Duke of York mit seinen Verbündeten. Eine Flotte der unausgesprochenen Feindseligkeit. Ich stehe am Bug und sehe ins Wasser, lausche auf das beruhigende Plätschern des Wassers gegen das Boot und das Klatschen der Ruder.
Wir haben unseren Besuch beim König angekündigt, doch als wir in Windsor anlegen und durch die stille Burg in den oberen Trakt gehen, erschrecke ich sehr. Wenn der König mit seinem Hof eine Burg verlässt, um in einer anderen zu wohnen, werden die Staatsräume gesäubert und verschlossen. Als wir den König ohne den Hof nach Windsor geschickt haben, wurden weder die Schlafgemächer noch die Küchen, in denen für Hunderte gekocht werden kann, noch die Staatsräume oder die Ställe geöffnet. Die kleine Entourage des Königs hat sich in seinen Privatgemächern eingenistet, der Rest der Burg steht leer und verlassen. Der schöne Audienzsaal des Königs, normalerweise das Herz des Hofes, ist verwaist und vernachlässigt; der Kamin wurde nicht gesäubert, und das Flackern der Flammen zeigt, dass das Feuer eben erst angezündet wurde. Alles ist kalt und trostlos. An den Wänden hängen keine Tapisserien, und die meisten Läden sind geschlossen, der Raum ist kalt und düster. Auf dem Boden liegen alte, vermoderte Binsen, und in den Wandleuchtern stecken noch halb heruntergebrannte Binsenlichter. Ich winke den Haushofmeister herbei. «Warum wurde das Feuer nicht früher angesteckt? Wo sind die Tapisserien des Königs? Dieser Raum macht dir Schande.»
Er zieht den Kopf ein. «Vergebt mir, Euer Gnaden. Aber ich habe nur wenige Diener hier. Sie sind alle bei der Königin und dem Duke of Somerset in Westminster. Außerdem kommt der König hier sowieso nie her. Wollt Ihr, dass ich das Feuer für die Ärzte und ihre Diener anzünde? Sonst kommt niemand zu Besuch, und unser Befehl lautet, niemanden vorzulassen, der nicht vom Herzog geschickt wird.»
«Du musst die Feuer anzünden lassen, damit die Gemächer des Königs hell und fröhlich sind», erkläre ich ihm. «Und wenn du nicht genug Diener hast, um die Räume sauber zu halten, dann hättest du uns das sagen müssen. Seine Gnaden sollte besser bedient werden. Er ist der König von England, er sollte immer und unter allen Umständen aufwendig bedient werden.»
Er verbeugt sich vor mir, aber ich bezweifele, dass er meiner Meinung ist. Wenn der König nichts sehen kann, warum sollte man dann Tapisserien an die Wände hängen? Wenn niemand kommt und es keine Besucher gibt, warum sollte man die Staatsräume sauber halten und im Empfangssaal ein Feuer entfachen? Der Duke of Somerset winkt mich zu sich an die Doppeltür zum Privatgemach. Hier steht nur ein Mann Wache.
«Du brauchst uns nicht anzukündigen», sagt der Herzog. Die Wache öffnet die Tür, und wir gehen hinein.
Der Raum ist vollkommen verändert. Normalerweise ist es ein hübsches Zimmer mit mehreren Erkerfenstern, zur einen Seite sieht man auf die Wasserweiden und den Fluss hinaus, zur anderen auf den andern Trakt, wo man immer Menschen hört, wo Pferdehufe auf dem Pflaster klappern und manchmal Musik erklingt. In den Räumen herrscht immer Geschäftigkeit durch das Kommen und Gehen der Höflinge und Berater des Königs. Üblicherweise ist alles mit Wandteppichen verhängt, auf den Tischen stehen kleine silberne und goldene Kunstwerke und hübsche bemalte Schachteln und
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