Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
sinnlos waren. Push besaßkeine Begabungen. Seltsamerweise schien sie Musik zu lieben. Am liebsten saß sie neben Sophia am Flügel und sang (oder, wie Jed fand: heulte) mit.
Trotz aller Fehler und Unzulänglichkeiten liebten wir Push heiß und innig, genau wie Coco. Eigentlich waren es gerade ihre Schwächen, die sie uns so lieb machten. «Oooh, du Ärmste! Ach, die Süße!», gurrten wir, wenn sie versuchte, irgendwo hinaufzuspringen und ihr Ziel um einen halben Meter verfehlte, und waren sofort zur Stelle, um sie zu trösten. Oder wir sagten: «Oje, die Arme! Sie kann das Frisbee nicht sehen! Sie ist sooo süß!» Coco begegnete ihrer neuen Mitbewohnerin zuerst mit Misstrauen; wir sahen, wie sie Push argwöhnisch auslotete. Push hingegen verfügt über eine reduziertere Gefühlspalette, Argwohn und Misstrauen kommen darin nicht vor. Sie war ganz zufrieden damit, Coco liebenswürdig nachzulaufen, allerdings immer darauf bedacht, Bewegungen, die Geschicklichkeit erfordern, zu vermeiden.
So lieb Push war, so absurd war es im Grunde, dass wir uns einen zweiten Hund anschafften, und das wusste niemand besser als ich. Die Hundeverantwortung in unserer Familie entfiel zu neunzig Prozent auf mich, während die übrigen drei Familienmitglieder sich die restlichen zehn Prozent teilten. Jeden Tag, von sechs Uhr morgens an, war ich diejenige, die sie fütterte, mit ihnen rannte und hinter ihnen aufräumte, außerdem die gesamte Fellpflege erledigte und sie zum Tierarzt brachte. Zu allem Übel war eben mein zweites Buch erschienen, und neben der Belastung durch die volle Vorlesungsverpflichtung und der musikalischen Arbeit mit den Mädchen flog ich ständig kreuz und quer durchs Land und hielt Vorträge. Immer fand ich eine Möglichkeit, eine Reise nach Washington, Chicago oder Miami in eineneinzigen Tag zu quetschen. Mehr als einmal stand ich um drei Uhr morgens auf, flog nach Kalifornien, hielt zu Mittag einen Vortrag und kehrte mit der Spätabendmaschine nach Hause zurück. «Was ist dir da bloß eingefallen?», fragten mich Freunde. «Du hast doch sowieso schon so viel um die Ohren – wieso, um alles in der Welt, musste noch ein zweiter Hund her?»
Meine Freundin Anne fand eine konventionelle Erklärung. «Alle meine Freundinnen», sagte sie, «schaffen sich Hunde an, wenn ihre Kinder ins Teenageralter kommen. Eine Maßnahme gegen das leere Nest. Hunde sind ein Kinderersatz.»
Eine interessante Ansicht, finde ich, denn die chinesische Kindererziehung hat mit Hundehaltung nicht das Geringste gemein. Eigentlich ist sie das genaue Gegenteil. Das fängt schon damit an, dass es eine gesellige Angelegenheit ist, einen Hund zu haben. Es gibt immer viel zu reden, wenn man andere Hundebesitzer trifft. Die Kindererziehung nach chinesischer Art ist hingegen ein ungeheuer einsames Geschäft – zumindest wenn man im Westen lebt, wo man allein auf weiter Flur ist. Man tritt gegen ein ganzes Wertesystem an, das in der Aufklärung, in der Idee von der Freiheit des Individuums, in den Theorien der Entwicklungspsychologie und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verwurzelt ist – und es gibt niemanden, mit dem man offen reden kann, nicht einmal unter den Menschen, die man mag und zutiefst respektiert.
Als Sophia und Lulu klein waren, fürchtete ich zum Beispiel nichts mehr, als dass sie von anderen Eltern zu einem Spielnachmittag eingeladen werden könnten. Warum, warum, warum gibt es diese entsetzliche westliche Einrichtung? Ein einziges Mal versuchte ich ehrlich zu sein und einer anderen Mutter zu erklären, dass Lulu keine Freizeit habe, weilsie Geige üben müsse. Ich stieß auf so wenig Verständnis, dass ich auf Ausreden der Art zurückgreifen musste, die man im Westen gelten lässt: Sehschule, Physiotherapie, Gemeindedienst. Irgendwann bekam die andere Mutter eine gekränkte Miene und zeigte mir fortan die kalte Schulter, als hätte ich ihr mitgeteilt, dass ich ihre Tochter für einen schlechten Umgang hielt. Dabei war es eine weltanschauliche Unvereinbarkeit. Wenn ich eine Einladung zu einem Spielnachmittag abgewehrt hatte, kam zu meiner Bestürzung sofort eine zweite daher. «Wie wär’s dann mit Samstag?» – der Samstag war der Tag vor Lulus Unterricht bei Miss Tanaka in New York – «oder mit Freitag in zwei Wochen?» Aus ihrer Sicht konnten westliche Mütter einfach nicht begreifen, wie Lulu das ganze Jahr hindurch jeden Nachmittag beschäftigt sein konnte.
Es gibt einen weiteren riesigen Unterschied
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