Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Hausstand nach Boston (die Kinder bei den Großeltern in Kalifornien zu lassen kam für Katrin keinen Moment in Frage). Dank der Hilfe unserer Freunde Jordan und Alexis fanden wir in Boston für sie ein Haus zur Miete, eine Schule für Jake und eine Tagesbetreuung für Ella.
Katrins Leukämie war so aggressiv, dass die Ärzte am Dana Farber sagten, sie brauche sofort eine Knochenmarkspende; das sei ihre einzige Überlebenschance. Aber damit eine Knochenmarktransplantation überhaupt möglich war, mussten erst zwei gewaltige Hürden überwunden werden: Katrin musste sich einer intensiven Chemotherapie unterziehenund hoffen, dass sich der Krebs zurückbildet. Falls ja, musste sie noch einmal Glück haben und einen passenden Spender finden. Die Chancen standen in beiden Fällen nicht besonders gut; die Wahrscheinlichkeit aber, dass beides klappte, war erschreckend gering. Und selbst dann bestand nur eine geringe Chance, dass sie die Knochenmarktransplantation überlebte.
Katrin hatte noch zwei Tage in Boston, bevor sie ins Krankenhaus musste. Ich war dabei, als sie sich von ihren Kindern verabschiedete. Sie wollte unbedingt noch die Wäsche machen – zwei Maschinenladungen voll – und Jakes Sachen für den nächsten Tag herauslegen. Ungläubig und wie erstarrt sah ich zu, wie sie liebevoll die T-Shirts ihres Sohnes zusammenlegte und die Lätzchen und Bodys ihrer Tochter glättete. «Das ist eine so angenehme Tätigkeit», erklärte sie dazu. Bevor sie aufbrach, gab sie mir ihren gesamten Schmuck zur Aufbewahrung. «Falls ich nicht wiederkomme», sagte sie.
Or und ich brachten sie ins Krankenhaus. Als wir in der Anmeldung warten mussten, riss sie Witze – «Besorg mir eine hübsche Perücke, Amy, ich wollte doch immer schönes Haar haben» – und entschuldigte sich, dass sie mir so viel Zeit raubte. Als wir sie endlich zu ihrem Zimmer begleitet hatten – das sie sich, durch einen Vorhang getrennt, mit einer wie tot wirkenden, offensichtlich unter Chemotherapie stehenden älteren Frau teilte –, hängte Katrin zuallererst Bilder von ihrer Familie auf: eine Nahaufnahme von Ella, ein Foto von Jake im Alter von drei und eines von der ganzen Familie: vier strahlende Gesichter auf einem Tennisplatz. Zwar wirkte Katrin hin und wieder gedankenverloren, schien ansonsten aber ganz ruhig und überlegt.
Ich war weniger gelassen: Als zwei Praktikanten – der eine Asiat, der andere Nigerianer – hereinkamen und sich Katrinvorstellten, überwältigten mich Zorn und Empörung, weil mir die beiden vorkamen, als spielten sie Doktor. Auf keine unserer Fragen hatten sie eine Antwort, zweimal sprachen sie von der falschen Form von Leukämie, und am Ende musste ihnen Katrin noch das Protokoll für die kommende Nacht erklären. Mir ging währenddessen immer nur eins im Kopf herum: Studenten? Das Leben meiner Schwester in den Händen von Medizinstudenten?
Katrin jedoch reagierte völlig anders. «Ist es nicht unglaublich, dass ich eine von ihnen war, als ich zum letzten Mal hier war?», sagte sie nachdenklich, als die beiden wieder fort waren, und in ihrem Tonfall schwang ein Anflug von Trauer mit. «Or und ich hatten uns gerade erst kennengelernt.»
Die ersten paar Wochen Chemo verliefen glatt. Wie wir schon bei Florence erlebt hatten, sind die Auswirkungen einer Chemotherapie kumulativ, das heißt, jede weitere Wirkstoffgabe verschlimmert die Symptome, die am Anfang noch sehr schwach sein können. Während der ersten Tage sagte Katrin, sie fühle sich großartig – energiegeladener als seit Monaten, denn sie bekam regelmäßige Bluttransfusionen gegen die Anämie. Unterdessen saß sie in ihrem Krankenhauszimmer und schrieb wissenschaftliche Artikel – einer davon wurde noch während ihres Spitalaufenthalts von der Zeitschrift Cell veröffentlicht –, betreute aus der Ferne ihr Labor in Stanford und bestellte im Internet Bücher, Spielsachen und Winterkleidung für Jake und Ella.
Aber auch als die Nebenwirkungen der Chemotherapie deutlich spürbar wurden, beklagte sich Katrin nie, weder über den zentralen Venenkatheter in ihrer Brust, durch den die Toxine über einen Infusionsschlauch direkt in die Hauptvenen eingeleitet wurden («Geht schon, aber anschauen kannich’s noch immer nicht»), noch über den Schüttelfrost, der sie von einer Sekunde auf die nächste überfiel, noch über die ungezählten Injektionen, die sie über sich ergehen lassen, und Tabletten, die sie einnehmen musste. Stattdessen schickte sie mir immer
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