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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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wieder ironische Mails, bei denen ich manchmal laut lachen musste. «Juchhe!», schrieb sie einmal. «Jetzt wird’s mir wirklich SCHLECHT. Die Chemo wirkt … alles nach Plan.» Und ein andermal: «Ich freu mich auf den Besuch des Phlebologen heute Vormittag. So weit ist es mit mir gekommen.» Der Phlebologe war derjenige, der ihr Blut abnahm und sie anschließend über ihre Werte informierte. Und: «Kann wieder klare Flüssigkeiten trinken. Werde es mit Hühnerbrühe versuchen. Mjam.»
    Mir wurde bewusst, dass Katrin, wenn ich nichts von ihr hörte, das heißt, wenn sie nicht ans Telefon ging und meine Mails nicht beantwortete, zu schlecht beisammen war, zum Beispiel, wie es jetzt regelmäßig vorkam, aufgeschwemmt vor Nesselsucht als allergische Reaktion auf eine Thrombozyteninjektion oder halb betäubt von den Schmerzmitteln, die ihr gegen irgendein schreckliches neues Leiden verabreicht wurden. Wenn sie sich dann wieder meldete, um mich auf den neuesten Stand zu bringen, war ihr Ton immer heiter. Auf meine regelmäßige Nachfrage per Mail «Wie war die letzte Nacht?», antwortete sie: «Das willst du nicht wissen» oder «Nicht so schlimm, aber auch nicht super» oder «Leider wieder Fieber».
    Mir wurde noch etwas bewusst: Um ihrer Kinder willen war Katrin fest entschlossen zu überleben. Als Kind war sie immer die Zielstrebigste und Willensstärkste von uns vier Schwestern gewesen. Jetzt richtete sie ihre gesamte Intelligenz und Kreativität auf den Kampf gegen die Leukämie. Als ausgebildete Ärztin wusste sie über ihre Krankheit natürlichsehr gut Bescheid, sie überprüfte Dosierungen, verfolgte die Ergebnisse der Blutuntersuchungen, informierte sich im Internet über klinische Studien. Sie liebte die Ärzte an der Klinik – sie besaß genügend medizinische Sachkenntnis, um ihre Erfahrung, Einsicht und Urteilsfähigkeit schätzen zu können –, und wurde umgekehrt von ihnen geliebt. Genauso wie von sämtlichen Schwestern und jungen Assistenzärzten. Einmal erkannte ein Medizinstudent, der seinen Turnus machte, ihren Namen, weil Dr. Katrin Chua aus Stanford Autorin zweier Artikel in der angesehenen Fachzeitschrift Nature war, die er gelesen hatte, und bat sie ehrfürchtig um einen beruflichen Rat. Unterdessen zwang sich Katrin, in Form zu bleiben und zweimal täglich einen zwanzigminütigen Spaziergang zu absolvieren, auf dem sie den Infusionsständer, an den sie angeschlossen war, auf Rollen neben sich herschob.
    Im Herbst und Winter 2008 war ich oft in Boston. Jedes Wochenende fuhr die ganze Familie hin – manchmal machten wir die zweistündige Fahrt nach Boston gleich im Anschluss an die vier Stunden, die Lulu und ich zu Miss Tanaka und wieder zurück gebraucht hatten. Katrin selbst legte keinen Wert auf Besuch – und nachdem die Chemotherapie ihr Immunsystem lahmgelegt hatte, sollte sie auch gar keinen mehr bekommen –, aber sie sorgte sich um Jake und Ella und war froh, wenn wir uns um die Kinder kümmerten. Sophia himmelte ihre kleine Kusine Ella an, und Lulu und Jake waren dicke Freunde. Sie sind sich vom Charakter her ähnlich und ähneln einander auch äußerlich so sehr, dass sie oft für Geschwister gehalten werden.
    Natürlich starrten wir währenddessen nur auf eines: ob bei Katrin eine Remission eintrat oder nicht. Am zwanzigsten Tag wurde die entscheidende Biopsie durchgeführt. Eineweitere Woche verging, bis das Ergebnis vorlag. Es war nicht gut – gar nicht gut. Katrin war inzwischen völlig kahl, ihre Haut schälte sich, und sie hatte jede denkbare Magen-Darm-Komplikation entwickelt, aber der Krebs war immer noch da. Der Arzt teilte ihr mit, dass sie um einen weiteren Chemo-Durchgang nicht herumkam. «Ist ja nicht das Ende der Welt», sagte er, um einen optimistischen Tonfall bemüht. Aber wir hatten unsere Recherchen gemacht und wussten alle, dass Katrins Aussicht auf eine erfolgreiche Knochenmarktransplantation gleich null war, falls dieser nächste Durchgang nichts bewirkte. Es war ihre letzte Chance.

28     Der Sack Reis
     
     
    Sophia mit sechzehn
     
    Als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, fand ich den gesamten Küchenfußboden dick mit Reis übersät. Ich war müde und angespannt, ich hatte erst meine Vorlesungen gehalten, dann vier Stunden Gespräche mit Studenten geführt, und schließlich überlegte ich, nach dem Essen noch nach Boston zu fahren. Und jetzt lag auf dem Boden ein zerfetzter Jutesack zwischen Lappen und Plastiktüten, und draußen

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