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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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nicht, warum mir niemand etwas gesagt
hat. Ich bin schließlich ihre Mutter. Und noch etwas verstehe ich nicht. Warum« – sie reißt Sydney den Brief aus der Hand – »bedankt sich Julie bei Sydney? Wofür
bedankt sie sich denn?«
    »Ich glaube, für –«, beginnt Sydney, dann kommt ihr ein Gedanke. »Waren
die Polizisten in Julies Zimmer?«
    »Ja.«
    Aber vielleicht wussten sie nicht, wonach sie suchen sollten. Sydney
steht auf. »Ich bin gleich wieder da«, sagt sie.
    Sie geht nach oben. Die Tür zu Julies Zimmer steht offen. Sydney tritt
ein und sieht sich aufmerksam um.
    Benommen tastet sie nach dem Bett hinter sich und lässt sich auf die
Kante hinunterfallen. Erst jetzt wird ihr richtig bewusst, dass Julie fort ist.
Sie drückt beide Arme auf ihren Bauch.
    Bilder der lachenden Julie neben ihr im Auto vermischen sich mit frischen
Erinnerungen an den lachenden Jeff auf dem Boden des Gartenpavillons. An das Drängen,
die Absurdität der Leidenschaft, die nun gestillt ist. Ein Mann und eine Frau, die
sich ungeschickt durch nasse Kleider kämpfen, um den anderen nackt zu sehen. Sie
erinnert sich an den harten Druck von Jeffs Wangenknochen an ihrem. An etwas, was
er sagte, den Mund an ihrem Hals, und was sie nicht genau verstehen konnte. An die
wunderbare Zartheit, mit der er sie umhüllte. Als er sie an sich zog, rann aus ihrer
Regenjacke ein dünner Strom Wasser ihren Hals hinunter in die Mulde hinter ihrem
Schlüsselbein. Sie fröstelte. Ihre Füße waren eiskalt. Sie fühlte den Regen auf
ihrer nackten Haut. Sie zog die Füße hoch und drängte sie zwischen Jeffs Oberschenkel.
Er schob eine Hand zu ihnen hinunter und hielt sie dort fest.
    »Und es hätte so eine glückliche Nacht werden sollen«, sagt Jeff
von der Tür her.
    Sydney versucht zu lächeln.
    Er setzt sich zu Sydney aufs Bett. Das Gewicht der beiden Körper drückt
eine tiefe Mulde in die weiche Matratze. »Was ich getan habe, war unbesonnen«, sagt
er. »Vielleicht sogar fahrlässig. Aber ich war mir sehr sicher.«
    Sydney nickt.
    »Was empfindest du jetzt?«, fragt er, und Sydney bemerkt das kleine Stocken
in der Stimme. Hat er Angst vor der Antwort?
    Sie nimmt seine Hand, um ihn wissen zu lassen, dass er auf sie zählen
kann. »Ich bin traurig«, antwortet sie. »Julie ist wirklich fort.«
    »Woher weißt du das?«
    »Sie hat ihre Leinwände mitgenommen. Und die Farben.«
    Jeff blickt zu der Ecke, wo die Staffelei stehen müsste. Sie spürt sein
Seufzen an der Bewegung seiner Schultern.
    Sie lässt seine Hand los und geht zum Fenster. Im Glas sieht sie einen
sonnigen Nachmittag, Julie steht im Wasser. Sydney bekommt endlich zu fassen, was
ihr beim Lesen von Julies Brief durch den Kopf geschossen und entwischt ist.
    ALLES OKAY.
    Eine junge Frau in einem Neoprenanzug, die eine Welle reitet.
    »Was ist?«, fragt Jeff.
    »Ich glaube, ich weiß, mit wem Julie durchgebrannt ist«, sagt Sydney.
    »Wer ist der Kerl?«
    »Es ist vielleicht gar kein Kerl«, antwortet Sydney.

2003

 
    EIN GRÜNLICHER SCHIMMER auf dem
Wasserspiegel. Das Wasser ist schwer und ölig, die Hitze unter den Wolken drückend.
Sydney wartet eine Folge von Wellen ab, um die größte zu erwischen. Ihr Timing stimmt
nicht. Sie findet ihren Rhythmus nicht.
    Heute und morgen werden Gäste im Sommerhaus eintreffen. Der Partyservice
kommt von Harriet, einer Frau aus dem Dorf, die »so etwas macht«, obwohl es im Dorf
und in den Sommerhäusern doch bestimmt nicht genug Hochzeiten gibt, um einen Partyservice
am Laufen zu halten, denkt Sydney. Harriet wird wahrscheinlich auch für Cocktailpartys
kochen, für solche, wo Ehepartner manchmal nicht miteinander reden.
    Das Wetter am Wochenende soll unsicher werden,
das Wort fliegt hin und her wie ein Federball. Sydney hört es aus dem oberen Flur,
sie hört es aus der Küche. Genaueres will niemand sagen.
    Wenn das Wetter lediglich unsicher ist, wird die Trauung auf der Veranda
stattfinden. Sollte es schlechter sein, wird die Feier ins Wohnzimmer verlegt werden,
das man dann allerdings vorübergehend ausräumen müsste. Es soll eine kleine Angelegenheit
werden, nur im Kreis von Familie und Freunden. Diese Wendung stößt Sydney auf, sie
erinnert sie an ein Begräbnis.
    Sydneys Eltern werden getrennt kommen. Die Trauung wird von einem Geistlichen
aus Needham vollzogen werden, der mit Freuden das schönste Gästezimmer im oberen
Stock angenommen hat. Sydneys Freundinnen Emily und Becky werden morgen kommen.
Jeff wird durch Ivers, Sahir, Peter

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