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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Häuschen.
Hat er länger mit dir gesprochen? Wie fandest du ihn?«
    »Er hat nicht viel gesagt«, antwortet Sydney. »Er wirkte ein bisschen – ich weiß auch nicht – müde vielleicht.«
    »Ja, das fand ich auch. Er arbeitet zu viel. Hat – äh –?« Mr. Edwards
drückt seine Gartenhandschuhe fest zusammen. »Weiß Jeff…?«
    Sydney schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht.«
    »Es ist gut für beide«, sagt Mr. Edwards mit Entschiedenheit. »Eine
Versöhnung. Nicht miteinander zu reden ist niemals gut. Nie. Das reißt Familien
über Jahre auseinander. Meistens ist Geld schuld. Ich weiß nicht, was es in diesem
Fall ist. Aber es gibt da doch eine Art Loyalität, glaubst du nicht auch? Vielleicht
weißt du mehr.«
    Sydney schüttelt den Kopf. »Nein, ich weiß nichts«, sagt sie.
    Mr. Edwards macht eine ausholende Armbewegung, als wolle er den ganzen
Garten umfassen. »Ich habe alle deine Blüten ausgesucht. Aber ich schneide sie natürlich
erst morgen.«
    »Wir sollten die Trauung hier abhalten. Der Garten ist so schön.«
    »Nein, niemals eine Trauung in einem Rosengarten. Da braucht nur Wind
aufzukommen, und man steht mit nichts als leeren Stängeln da.«
    »Ich bin nur gekommen, um dir zu danken«, sagt Sydney.
    »Da kann ich gleich ein bisschen protzen«, erwidert Mr. Edwards. »Wusstest
du nicht, dass jeder Gärtner im Herzen ein Angeber ist?«
    Sie lächelt.
    »Ich freue mich, dass ihr hier heiratet«, sagt er mit einem Blick zum
Haus. »Das Haus hat Geschichte. Wollen wir uns setzen?«
    »Gern«, antwortet sie. Sie weiß, dass Mr. Edwards sich setzen muss.
    Mit einem kleinen Handfeger, der an der Seite der Steinbank lehnt, kehrt
er sorgsam die Sitzfläche sauber.
    »Interessiert dich Geschichte?«, fragt er, während er sich den Schmutz
von der Hose klopft.
    »In Maßen«, antwortet Sydney.
    »In diesem Haus steckt eine Menge Geschichte. Ich war in der Bibliothek
und bei der örtlichen historischen Gesellschaft und so weiter. Ich habe eine ganze
Weile ein richtiges Hobby daraus gemacht. Natürlich hat jedes Haus, das schon ein
paar Jahre steht, eine Geschichte, aber dieses hier hat mehr erlebt als andere,
glaube ich. Hier haben sechs, sieben, acht Familien gelebt. Wusstest du, dass es
ursprünglich ein Nonnenkloster war?«
    Sydney ist überrascht. Sie lässt den Blick über das betagte Haus zu den
Dachgauben hinaufschweifen. Zellen für die Nonnen?
    »Ein frankokanadischer Orden aus Quebec. Zwanzig fromme Schwestern. Ein
kontemplativer Orden.«
    »Dafür ist der Ort hier ideal.«
    »Es gab einen Skandal, in den ein Priester und eine junge Novizin verwickelt
waren.« Er hält inne und schüttelt den Kopf. »Manchmal denke ich, außer dem Datum
ändert sich gar nichts.«
    Sydney spürt ein kühles, feuchtes Lüftchen auf ihren Armen. Die dunklen,
glänzenden Rosenblätter scheinen im Luftzug zu beben.
    »Nach dem Skandal, über den wir nur Vermutungen anstellen können«, fährt
Mr. Edwards fort, »wurde das Haus an einen Mann verkauft, der in Boston Herausgeber
einer literarischen Zeitschrift war. Über ihn weiß ich nicht viel, aber ich weiß,
dass seine Tochter hier ein Heim für ledige Mütter gründete, was offenbar zum nächsten
Skandal führte. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass die ledigen Mütter irgendjemandem
Schwierigkeiten gemacht haben, aber die Dorfbewohner wollten sie trotzdem loshaben.
Sie behaupteten, die ledigen Mütter verdürben die Moral der einheimischen jungen
Frauen.«
    Sydney blickt wieder zu den Dachfenstern hinauf. Erst die Nonnen, dann
die ledigen Mütter. Kinder, viele wahrscheinlich, die in diesen Räumen geboren worden
waren.
    »Was ist aus den Kindern geworden?«, fragt sie.
    »Ich weiß es nicht. Ich vermute, sie wurden zur Adoption freigegeben.
Schrecklich, sich das vorzustellen, nicht wahr? Einer Frau ihr neugeborenes Kind
wegzunehmen. Aber wahrscheinlich war das damals das kleinere von zwei Übeln – besser
als auf der Straße ausgesetzt zu werden.«
    Sydney nickt.
    »Den Leuten hier scheint es gelungen zu sein, die ledigen Mütter zu vertreiben,
denn 1929
wird ein leer stehendes Haus erwähnt, das einem Mann namens Beecher verkauft wurde.
Er hatte, glaube ich, mit einer marxistischen Druckerei
zu tun, die für die Gewerkschaften arbeitete. Es handelte sich um Textilarbeiter
in den Fabriken drüben in Ely Falls. Ich habe eine Kopie des Informationsblatts,
das sie herausgegeben haben – Lucky Strike . Ich habe es
in einem Antiquariat aufgestöbert. Durchaus

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