Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
interessant. Aufwieglerisch und geistreich
zugleich, eine seltsame Kombination, als läse man den Daily Worker in Verbindung mit dem New Yorker .« Mr. Edwards legt die
Handschuhe, die er bis jetzt in der Hand gehalten hat, auf die Bank. »Es kam zu
einem Angriff des Ku-Klux-Klan auf diese Gruppe radikaler Gewerkschaftler – wieder glaube ich nur, dass sich das hier abspielte –, bei dem
eines der Mitglieder getötet wurde.«
»Hier hat es einen Mord gegeben?«
»Man würde nicht glauben, dass der Ku-Klux-Klan so weit im Norden tätig
war, nicht wahr? Kurz danach ist Beecher geflohen. Das Haus kam unter den Hammer – das muss 1930
gewesen sein – und wurde von einer Frau erworben, die sich als Theaterautorin einen
gewissen Namen machte. Sie lebte in New York, aber die Sommer verbrachte sie hier.
Hast du einmal den Namen Vivian Burton gehört?«
Sydney schüttelt den Kopf. Mr. Edwards beugt sich vor und reißt eine
Hagebutte ab.
»Einige ihrer Stücke haben es an den Broadway geschafft. Ihr gehörte
das Haus bis zu ihrem Tod im Jahr 1939. Dann ging es an eine Familie Richmond über. In diesem Haus
sind anscheinend nicht nur Skandale gediehen, sondern auch Begabungen. Dieser Richmond
nämlich, Albert, war ein Trompe-l’œil-Maler. Hat vor allem Stillleben gemalt.«
»›Täuschung des Auges‹«, sagt Sydney, die weit mehr über Stilllebenmalerei
weiß als noch vor einem Jahr.
»Genau. Völlig außer Mode, aber sehr gut, in der Art von William Harnett
und John Frederick Peto. Eines seiner Bilder hängt im Museum of Fine Arts in Boston.
Ich habe mir schon so oft vorgenommen, mal hinzufahren und es mir anzusehen, aber
irgendwie komme ich nie dazu.«
»Das machen wir einmal zusammen«, schlägt Sydney vor. »Und dann essen
wir beide irgendwo zu Mittag.«
»Das ist eine gute Idee«, sagt Mr. Edwards voller Enthusiasmus.
Danach folgt eine Pause, in der beide an die Zukunft denken. Eine Zukunft,
in der es vielleicht noch mehr gemeinsame Mittagessen geben wird, gelegentlich einen
Spaziergang zusammen, viele Gespräche, Enkelkinder.
»Dieser Maler, Richmond«, fährt Mr. Edwards fort, »musste drei Söhne
in den Zweiten Weltkrieg ziehen lassen. Er selbst war für den Krieg zu alt, aber
er hatte Söhne. Möglicherweise auch eine Tochter. Es wird immer so viel von den
Opfern der Mütter geredet, aber an die Väter denkt kaum einer.«
Sydney schweigt, mit der Vorstellung beschäftigt, wie ein Vater nacheinander
drei Söhne zum Bahnhof bringt, um sie nach Europa oder über den Pazifik reisen zu
lassen, ohne zu wissen, ob sie je zurückkehren werden.
»Sind die Söhne wiedergekommen?«, fragt sie.
»Ich weiß nicht«, antwortet Mr. Edwards. »Das Haus hat keiner von ihnen
übernommen, aber das heißt nicht unbedingt, dass sie nicht überlebt haben. Es wäre
schon ein großes Unglück gewesen, nicht wahr, alle drei Söhne zu verlieren?«
»Unvorstellbar.«
»Danach ging das Haus an eine Familie namens Simmons über, die es ausschließlich
als Sommersitz nutzte. Ich muss leider sagen, dass sie es ziemlich verwahrlosen
ließen. In den Achtzigerjahren kauften es dann der Visions-Pilot und seine Frau.
Du hast ja von dem Absturz gehört.«
»Ja.«
»Und ich – das heißt, Anna und ich – habe es dann der Witwe abgekauft.
Ich bin bestimmt niemand, der es darauf anlegt, die Notlage anderer auszunutzen,
aber das Haus wäre so oder so verkauft worden. Ich glaube sagen zu können, dass
wir es gut instand gehalten haben.«
»Es ist sehr schön«, sagt Sydney. »Es hat mir immer gefallen.«
»Und jetzt bist du ein Teil seiner Geschichte«, erklärt Mr. Edwards,
mit großer Befriedigung, wie es scheint.
»Und du auch«, entgegnet Sydney.
»Sydney, bist du glücklich?«, fragt er plötzlich.
Die Frage bringt sie aus der Fassung. »Ja«, antwortet sie und greift
sich mit einer Hand an die Brust. »Ich habe eigentlich gehofft, dass man das sieht.«
»Dann bin ich froh. Ich hatte Angst, die Situation zwischen Ben und Jeff
würde dein Glück dämpfen. Und ich habe mich ab und zu gefragt, ob du, was Heirat
angeht, nicht ein bisschen das Feuer scheust. Ich hoffe, du bist mir nicht böse,
dass ich das sage.«
»Nein«, antwortet sie. »Ich fühle mich nicht als gebranntes Kind. Vielleicht
sollte ich, aber es ist nicht so.«
»Mein Sohn ist ein guter Mann«, sagt Mr. Edwards, merkwürdige Worte
gerade jetzt.
»Das weiß ich«, erwidert Sydney gerührt.
Aus dem Beben der glänzenden Rosenblätter ist eine heftige
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