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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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mit Sydneys Eltern bekannt, die dem eigenwilligen Bruder grüßend zunicken. Anna
Edwards winkt Ben wie eine Wahnsinnige zu sich herüber in den Sessel, neben ihrem
Platz.
    Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Ben und nicht Jeff wäre
der Bräutigam.
    Jeff kann nicht länger so tun, als wäre er anderweitig beschäftigt. Als
er sich Sydney zuwendet, sind seine Augen wie trübes Glas.
    Das Essen wird von einer Frau in schwarzer Hose und weißer Bluse serviert.
Ein Hummereintopf wird in robusten irdenen Schalen aufgetragen, die nach Sydneys
Einschätzung kein Schnäppchen vom Emporia sind. Der Duft der Rosen auf dem Tisch
und die feuchte Meeresluft vereinen sich zu einem betäubenden Parfum, das eigens
für den Anlass produziert scheint.
    Sydney ist beklemmend deutlich, dass sie zwischen den beiden Brüdern
sitzt. Sie wagt kaum zu atmen aus Angst, mehr Platz zu beanspruchen, als ihr am
Tisch zugestanden ist. Eine Berührung Jeffs, die eigentlich absolut normal, ja,
sogar angebracht wäre, erscheint ihr jetzt als unnötige Geste, die Ben nur an den
Anlass dieses Abends und damit wiederum an das Zerwürfnis zwischen ihm und Jeff
und ein Jahr der Kränkung erinnern würde.
    Eine Berührung Bens ist völlig ausgeschlossen.
    Ab und zu hat Sydney den Eindruck, dass sie dabei ist, sich selbst aus
den Augen zu verlieren, dass sie nicht so wach und aufmerksam ist wie früher, dass
sie im vorigen Jahr in zunehmendem Maß Emotion gegen Intelligenz eingetauscht hat.
In kühleren Momenten fragt sie sich, ob das ein guter Tausch ist.
    Mr. Edwards steht auf, um einen Toast auszubringen. »Heute Abend«, beginnt
er, »wird die Geschichte dieses schönen Hauses um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben – es ist ein erfreuliches Kapitel, denn es schenkt uns die liebenswürdige und liebenswerte
Sydney Sklar als neues Familienmitglied. Das Glück hat unserem Sohn gelächelt. Es
gibt im Jiddischen ein Wort, das grob übersetzt so viel wie ›füreinander bestimmt‹
heißt. Ich hoffe, ich spreche es richtig aus. Bashert .«
Mr. Edwards hebt sein Glas. »Bashert« , sagt er noch einmal.
    Die Gäste, Mrs. Edwards mit matter Hand, erheben ihre Gläser und wiederholen
das Wort. Sydney fragt sich, ob sie die erste Jüdin ist, der ein Anteil an diesem
Haus gehört, mag auch der Anspruch nur durch Heirat erworben und leicht anfechtbar
sein. Und noch etwas fragt sie sich: Sind sie und Jeff wirklich füreinander bestimmt?
Und durch wen oder was? Zusammengebracht vom komplexen Zusammenspiel der Umstände,
das Jeff genau in dem Moment auf der Veranda platzierte, als Sydney aus dem Wasser
stieg? Wer wollte an eine solche unsichtbare Hand glauben? Musste Daniel sterben,
damit das Schicksal seinen Lauf nehmen konnte? Was muss das für ein grausamer, gleichgültiger
und launenhafter Gott sein, der so etwas tut. Und zu welchem Zweck?
    Jeff steht nicht auf, um seinem Vater zu danken. Verlegenes Schweigen
zieht sich in die Länge.
    Ivers steht auf und nimmt den Bräutigam aufs Korn. Im Interesse der Braut
und ehe es zu spät ist, die Trauung abzusagen, berichtet er einige wenig bekannte
Fakten über Jeff Edwards. Der Bräutigam, verrät Ivers, hat einmal an ein Standbild
John Harvards uriniert, nachdem er in Cambridge bei einer Debatte über die Berechtigung
der NATO seinen Gegnern denkbar knapp unterlegen war. Er wurde erwischt und in seinem
eigenen College (Brown) einem Disziplinarausschuss vorgeführt, dessen Mitglieder
aufstanden und klatschten, als er eintrat. Ivers möchte Sydney auch darüber informieren,
dass ihr Bräutigam einmal in einen Zustand starrer Ehrfurcht versank, der ans Spirituelle
grenzte, als er sich bei den letzten Olympischen Sommerspielen die Fernsehübertragung
des Synchronschwimmens anschaute. Jeff erklärte diesen Sport für »echt schwierig«.
Und schließlich – weiß Sydney eigentlich, dass ihr Ehemann in spe ein heimlicher
Spieler ist, der einmal Wetten darauf abgeschlossen hat, dass die Yankees die Sox
bei einem Entscheidungsspiel mit vier Runs schlagen würden? Ivers freut sich von
Herzen, diesen Mann in weniger als zwanzig Stunden in Sydneys Obhut geben zu können.
Und falls es jemanden interessiert, es steht drei zu null für die Sox.
    Allgemeiner Jubel, und Ivers setzt sich wieder.
    Der zweite Gang, Shrimps auf thailändische Art, wird serviert. Jeff scheint
ganz auf sein Essen konzentriert, als wäre er Restaurantkritiker. Ben, neben ihr,
greift häufig nach seinem Wasserglas und beobachtet die

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