Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Ivers gesagt hat.
»Ich kann das nicht wie Ben«, fügt er hinzu.
»Was meinst du?«
»So tun, als ob nichts wäre.«
Von ihrem Fenster aus sieht Sydney eine Funkenfontäne aufsprühen, als
hätte jemand im Feuer gestochert. »Was ist mit Ivers, Sahir und den anderen?«, fragt
sie. »Wir haben sie eingeladen. Ich finde, wir benehmen uns ziemlich unhöflich.«
»Die kommen schon zurecht.«
»Sie wissen über dich und Ben Bescheid?«
»Natürlich wissen sie Bescheid.«
»Du bist heute Abend ein bisschen scharf.«
»Entschuldige, Sydney. Ich verderbe dir den Spaß an der Sache, stimmt’s?«
»Ein bisschen.«
Jeff geht zu dem anderen Bett und setzt sich wieder neben ihren Koffer.
»Warte, ich nehme ihn.« Sydney, die aufsteht, um das Gepäckstück zu holen,
ist überrascht, als Jeff keinen Finger rührt, um ihr zu helfen.
Anscheinend völlig fertig, streckt Jeff sich noch angekleidet auf dem
Bett aus.
Sydney bleibt neben ihm stehen, einen Moment wird sie von Zärtlichkeit
überwältigt. Sie kniet nieder und drückt die Stirn an seine Brust. Jeff spielt träge
mit ihrem Haar.
»Es tut mir leid«, sagt sie. »Ich habe ihn gebeten zu kommen, und jetzt
wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Es macht dir alles kaputt, nicht?«
»Es ist nicht deine Schuld«, erwidert er.
Durch das offene Fenster kann Sydney Lachen hören. Sollten sie und Jeff
nicht dort sein, wo das Lachen ist?
»Hasst du ihn wirklich so?«, fragt sie.
»Manchmal ja. Aber eigentlich glaube ich, es ist eher andersherum.«
»Das kann nicht stimmen.«
Jeff schweigt.
»Dein Vater hat mir die Geschichte des Hauses erzählt«, bemerkt Sydney,
das Kinn auf die Bettkante geschoben. »Von den Nonnen und den Marxisten und den
ledigen Müttern. Und morgen werden wir beide auch ein Teil dieser Geschichte.«
»So, wie meine Mutter redet«, bemerkt Jeff, »hat sie die Nonnen praktisch
persönlich gekannt.«
Sydney richtet sich auf und küsst ihn auf den Arm. »Ich liebe dich«,
sagt sie. Ihr ist bewusst, dass sie ihm das nicht so oft sagt wie er ihr, und sie
fragt sich manchmal, ob sie es nicht tut, weil es nicht nötig ist, weil Jeff nur
zu gut weiß, wie es um sie steht.
»Komm her«, sagt er.
Sydney steht auf und legt sich zu dem Mann, der jetzt ihr Geliebter ist.
Morgen werden wenige Worte und ein paar Gesten ihn zu ihrem Ehemann machen.
»Ich liebe dich«, sagt Jeff. Die Worte scheinen ohne Gewicht, schwerelos.
Sydney fordert das Schicksal heraus und knöpft ihre ärmellose weiße Bluse
auf.
»Ich gehe Kajak fahren«, erklärt Jeff am Morgen. Er zieht seine Badehose
an.
Sydney richtet sich, auf einen Ellbogen gestützt, halb auf. Nach der
Liebe hat sie gestern Nacht ihr eigenes Bett aufgesucht, da sie sich beide einig
waren, dass sie in einem so schmalen Bett zu zweit nicht gut würden schlafen können.
»An unserem Hochzeitstag?«, fragt sie.
Jeff zieht die Vorhänge auseinander, um nach dem Wetter zu sehen, das,
soviel Sydney davon sehen kann, immer noch »unsicher« scheint.
»Die Trauung ist erst um drei.«
»Ja, aber…«, beginnt Sydney. Sie setzt sich im Bett auf, die Decke knapp
über der Brust. Nackt hat sie noch nie gut argumentieren können.
»Wir sind jetzt wahrscheinlich bis – ich weiß nicht genau –, bis Ende
August, Anfang September das letzte Mal hier oben.«
Die Hochzeitsreise soll drei Wochen dauern. Danach müssen sie zu einer
Hochzeit von Freunden in Nordkarolina und danach wiederum zu einer Konferenz an
der Johns-Hopkins-Universität.
Sie findet es nicht in Ordnung, dass Jeff am Morgen seiner Hochzeit allein
losziehen will. Sie kann nicht sagen, warum.
»Ich kann hier nicht bleiben«, erklärt Jeff.
Er wird nicht in diesem Haus bleiben, in dem er sich unversehens mit
seinem Bruder allein in einem Raum sehen könnte.
»Jetzt reicht es aber«, sagt Sydney. »Ihr benehmt euch wie zwei Schuljungen«,
fügt sie hinzu, obwohl sie in Wirklichkeit meint, dass Jeff sich so benimmt. Ben
hat sich immerhin bemüht.
»Ich bleib nicht lange weg«, verspricht Jeff, als er sich zu ihr hinunterbeugt,
um sie zu küssen. »Wenn ich zurückkomme, hole ich meine Sachen und ziehe mich im
Zimmer meiner Eltern an. Dann komme ich dir nicht in die Quere.«
»Sei vorsichtig«, bittet Sydney ihn.
Jeff antwortet mit einem Schulterzucken. »Lieb dich«, sagt er und öffnet
schon die Tür.
Sydney bemerkt den hastigen Blick in den Flur, bevor er hinaustritt.
Unter normalen Umständen hätte sie diesen verstohlenen Blick
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