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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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selbst, eine Hochzeit ist nur ein Vorwand für eine gute Party.«
    Sydney schweigt.
    »Aber wenn Jeff hier zur Tür reinkommt«, fügt Emily ruhig hinzu, »dreh
ich dem beschissenen Kerl eigenhändig den beschissenen Hals um.«
    Sydney zieht sich in ihr Zimmer zurück und setzt sich aufs Bett. Zweimal verheiratet: einmal geschieden, einmal verwitwet. Sie
hat gehofft, heute einen weiteren Eintrag vornehmen zu können, aber wer weiß, wie
dieser Eintrag lauten wird.
    Sydney hört Türenknallen, laute Stimmen. Eine Energiewelle scheint die
Treppe heraufzuschwappen und in ihr Zimmer einzubrechen. Sie läuft zum Treppengeländer
und sieht, wie unten die Haustür aufgestoßen wird. Mr. Edward tritt ins Haus, das
Gesicht versteinert.
    »Ist Jeff zurück?«, ruft Sydney atemlos.
    Aber Mr. Edwards hat sie anscheinend nicht gehört.
    Sahir und Ivers folgen Mr. Edwards auf dem Fuß. »Ist mit Jeff alles
in Ordnung?«, ruft Sydney von oben.
    Ivers schaut zu ihr hinauf. Er ist ungewöhnlich bleich. »Wir haben ihn«,
sagt er. Dann bleibt er stehen und wendet sich zur Haustür.
    Jeff kommt in die Diele, grell leuchtet das Orange der Schwimmweste,
die ihm mit gelösten Gurten von einer Schulter herabhängt. Seine Füße sind nackt.
Sein Haar und seine Haut sind noch nass, die Badehose klebt an seinem Körper. Seine
Füße sind beinahe blau.
    Sydney lacht und weint zugleich. »Gott sei Dank«, ruft sie. »Gott sei
Dank ist dir nichts passiert.« Sie hält sich am Geländer fest, weil ihr die Beine
zittern vor Erleichterung.
    »Mir geht’s gut«, sagt Jeff in gedämpftem Ton. Aber es ist nicht der
gedämpfte Ton des reuigen Missetäters, wird Sydney plötzlich klar. Es ist der Ton
von jemandem, der sich schon entfernt, schon abseitsgestellt hat.
    Ihr schaudert bei dieser Stimme. Sie versteht nicht.
    Sie blickt in das versteinerte Gesicht des Vaters, auf die durchnässte
Hose des Bruders.
    »Arschloch«, sagt Ben.
    Die ersten Gäste stürmen in die Diele.
    Es ist, als wären sie für zwei verschiedene Theaterstücke kostümiert:
Jeff in klatschnasser Badehose, die Schwimmweste hat er schon abgelegt und zu Boden
geworfen; Sydney, die die Tür hinter ihnen geschlossen hat, in lachsfarbener Seide
und Perlenohrringen.
    »Wo warst du?«, fragt sie, eine Hand auf der Brust.
    »Auf einer der Inseln.«
    »So weit bist du gefahren? Wer hat dich gefunden?«
    »Sydney, ich kann nicht. Tut mir leid.«
    »Was denn?«
    Jeff schweigt.
    Sydney schüttelt verwirrt den Kopf. »Liebst du mich nicht mehr?«
    »Ich liebe dich«, entgegnet er.
    Sie öffnet die Hände. »Aber du willst mich nicht heiraten?«
    »Nein.«
    Sydney weiß in diesem Moment, dass es vorbei ist.
    Von unten sind Überraschungsschreie zu hören, das Auf und Zu der Haustür.
Die Sonne kommt heraus, unnötig grausam, findet sie.
    »Dachtest du, ich wäre glücklich?«, fragt Jeff.
    »Ich dachte, du wärst…« – Sydney sucht nach dem Wort – »du hättest Bammel.«
    »Hatte ich. Habe ich.«
    Sydney kann sich nicht von der Stelle rühren.
    »Ich fahre nach Hause«, sagt Jeff, »und hole meine Sachen aus der Wohnung.
Am besten wäre es, du bleibst heute über Nacht hier. Ich bin dann spätestens morgen
Nachmittag raus.«
    Dass er schon daran denken kann, die Wohnung frei zu machen! Sydney fühlt
sich, als habe ihr jemand mit voller Wucht vor den Kopf geschlagen. Andererseits
war er ihr ja schon von Anfang an so weit voraus.
    Er tritt ans Fenster und legt die Hände flach an das Glas. Sydney betrachtet
seinen langen Rücken, die gebräunten Beine. Weint er?
    »Hättest du das Victoria auch angetan?«, fragt Sydney.
    Jeff gibt lange keine Antwort. »Nein«, sagt er schließlich.
    In Sydney krampft sich etwas zusammen. »Warum nicht?«
    »Es hätte viel mehr Wellen geschlagen«, antwortet er.
    Sydney erkennt fassungslos, dass Jeff nicht die geringste Absicht hat,
sie zu schonen.
    Jeff stemmt die Hände in die Hüften. »Man könnte wahrscheinlich sagen,
dass ich das Ben angetan habe.«
    Wieder versteht Sydney nicht. »Ben?«, wiederholt sie fragend.
    »Um ihm eins auszuwischen.«
    Ihr ist schwindlig. Sie hat seit dem frühen Morgen nichts gegessen. Sie
muss plötzlich an das viele Essen denken, das nun verderben wird. Die vielen schönen
Blumen. An Mr. Edwards. An
Julie. Die vielleicht in diesem Moment unten stehen und voll Hoffnung darauf warten,
dass die Braut und der Bräutigam herunterkommen – ein wenig angeschlagen, möglicherweise
sogar mit blutigen Nasen, aber dennoch bereit

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