Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
beschlagenen
Spiegeln, Kleidern an Badezimmerhaken, Schminksachen auf den Ablagen über den Waschbecken.
Unten gehen Männer auf und ab. Sie bleiben gelassen, Sydney hört es am
Ton ihrer Stimmen, eine leise Nervosität äußert sich lediglich in der mehrfachen
Wiederholung mancher Fragen. Sydney schaut wieder auf die Uhr auf ihrer Kommode,
und dabei umfasst ihr Blick ein Panorama, das bisher noch kein neongelbes Kajak
durchquert hat. Gleich, denkt Sydney, werden die Fragen drängender, die Stimmen
gereizter werden, wird sich erster Ärger in die Nervosität mischen.
Als das Rauschen der Duschen versiegt, schwellen die Stimmen unten um
einen Ton an, nicht genug, um die Braut oben, die man vielleicht in seliger Ahnungslosigkeit
wähnt, zu beunruhigen, aber doch genug, um die Männer zu veranlassen, sich zusammenzutun.
Ein Suchtrupp müsse gebildet werden, erklärt Mr. Edwards.
Oh Gott , flüstert Sydney oben in ihrem Zimmer.
Mr. Edwards richtet das Wort an die Gäste. Sydney, im Bademantel, hört
von ihrer offenen Zimmertür aus zu. Sie hat Julies Taschentuch in ihren Büstenhalter
geschoben. Sie möchte es bei der Trauung bei sich haben.
»Es ist ihm sicher nichts passiert«, hört sie Mr. Edwards sagen. »Vielleicht
hat er auf Grund gesetzt und sucht nach einer Möglichkeit zurückzukommen. Er wird
sein Handy nicht mitgenommen haben, weil er weiß, wie leicht so ein Kajak umkippt.
Ich vermute, er ist zu den Inseln hinausgefahren. Das tut er gern. Wie in Gottes
Namen ist der Mann ausgerechnet heute auf so eine Idee gekommen? Ben, du fährst
mit der Whaler zu den Inseln hinaus. Nimm Ivers und Peter mit. Und ihr drei –«,
wendet sich Mr. Edwards an Sahir, Frank und Sydneys Vater, »– ihr kommt mit mir.
Ich bin mir nicht sicher, wie wir das am besten machen. Lieber Gott, was hat sich
der Junge nur dabei gedacht.«
Jeff, vermerkt Sydney, bereits degradiert.
Die Männer, im Smoking mit weißer Nelke im Knopfloch, gehen los. Sydney
ist die ganze Aufregung peinlich. Mindestens wird nun das ganze Dorf von dem Bräutigam
erfahren, der so unbekümmert und leichtsinnig war, an seinem Hochzeitstag Kajak
fahren zu gehen; von den festlich gekleideten Männern, die wie eine Schar schwarzer
Vögel über den Ort herfielen, um ihn nach Spuren des missratenen Bräutigams zu durchsuchen.
Das Gefühl des Peinlichen jedoch ist nichts im Vergleich zu ihrer Angst. Ihre Phantasie
beginnt zu arbeiten. Sie kann die Bilder nicht unterdrücken.
Sie verspürt ein beinahe unwiderstehliches Verlangen, sich hinzulegen,
und tut das schließlich, den Kopf hoch auf den Kissen, um Hélènes Kunstwerk nicht
zu beschädigen. Es wird keine schlechten Nachrichten geben, sagt sie sich. Jeff
hat einfach nicht auf die Zeit geachtet. Oder Mr. Edwards hatte recht – Jeff hat
auf Grund gesetzt und überlegt in diesem Moment verzweifelt, wie er bloß zurückkommen
soll. Gleich werden sie alle zusammen hier ankommen, Jeff wird gutmütig die Frotzeleien
hinnehmen, zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauflaufen, seinen Smoking
und seine Schuhe suchen, Sydney einen Handkuss zuwerfen und versprechen, dass er
ihr alles nach der Feier erklären wird.
Von Zeit zu Zeit hört Sydney die Türglocke. Die ersten Gäste kommen und
werden von Julie und Hélène in Empfang genommen, die beauftragt sind, sie zu unterhalten,
ohne etwas davon verlauten zu lassen, dass der Bräutigam verschwunden ist. Aber
irgendwann müssen die Gäste merken, dass etwas nicht stimmt.
Sydney beißt sich auf die Unterlippe.
In ihrem Zimmer gefangen, zieht Sydney ihr Kleid und die Sandaletten
an, damit sie in den Flur hinausgehen und warten kann. Zu den Gästen hinuntergehen
wird sie aber nicht.
»Da bist du ja«, sagt Emily, die die Treppe heraufgelaufen kommt, und
umarmt Sydney.
»Das ist idiotisch«, sagt Sydney.
»Es wird sich bestimmt alles in Wohlgefallen auflösen.«
Emily träg ein metallisch grünes Futteralkleid. Ihre Brille umrahmt und
betont ihre dunklen Augen. »In ein paar Minuten lachen wir alle über den Mistkerl
und seine Irrfahrt.«
»Meinst du wirklich?«, fragt Sydney.
»Garantiert.«
Sydney, der ein wenig flau ist, hält sich mit einer Hand am Geländer
fest. »Dein Kleid ist toll«, sagt sie zu ihrer Freundin.
»Das Gleiche wollte ich gerade dir sagen.«
»Sind schon alle da?«
»Becky saß im Verkehr fest, aber jetzt ist sie hier. Die sind unten alle
beim Essen und Trinken, und es interessiert keinen, wann die Feier anfängt. Du weißt
ja
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