Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
für eine Hochzeitsfeier im Sonnenschein.
»Ich kann dich nicht heiraten«, sagt Jeff. »Es wäre eine Lüge, das siehst
du doch.«
Sydney schüttelt den Kopf.
»Er wollte dich haben«, erklärt Jeff schlicht.
Sydney wendet sich ab, als müsste sie dann nicht hören, was er sagt.
»Ich habe es gleich am ersten Tag gesehen, als wir hier ankamen und du
unten beim Bodysurfing warst«, sagt Jeff. »Er konnte dich gar nicht aus den Augen
lassen. Und später, nach dem ersten Bootsausflug, sagte er, du wärst ganz anders
als andere Frauen – gescheit und unprätentiös. Da war mir klar, dass er sich für
dich interessierte.«
»Aber du hattest doch Victoria.«
»Ja, stimmt.«
Sie sucht nach irgendeinem Anzeichen von Normalität im Zimmer. Auf ihrer
Kommode steht eine Dose Haarfestiger. Daneben das weiße Schächtelchen, in dem die
Ohrringe lagen. Ein Buch ist vom Nachttisch zu Boden gefallen. Wann ist das passiert?
»Diese Dinge…« Jeff wendet sich mit einer Geste zur Tür und zum Fenster.
»Diese Dinge sind nicht eiskalt berechnet, wie man vielleicht glauben möchte. Manchmal
erkennt man sogar erst im Rückblick, was man getan hat.«
Sydney zieht eine Nadel aus dem Haar und behält sie in der Hand.
Jeff atmet tief durch, bevor er zum entscheidenden Geständnis ansetzt.
»Victoria war früher einmal Bens Freundin.«
Sydney schweigt.
»Es wundert mich, dass er dir das nicht erzählt hat.«
»Er hat es mir nicht erzählt, nein.«
»Tja, dann eins zu null für Ben.«
»Ist das ein Spiel?«, fragt Sydney.
Alles Blut zieht sich aus Sydneys Kopf und Schultern zurück und sammelt
sich irgendwo mitten in ihrer Brust. Ihre Hände zittern, entweder vom Schock oder
vor Zorn. All das, was sie sich ausgemalt hat – ihr Leben mit Jeff, ihre Ehe, Kinder
und mit ihnen Besuche beim Großvater –, wird nie wahr werden.
Jeff geht zu ihr, als wollte er sie in den Arm nehmen. Sie wehrt ihn
ab, versagt sich sein Mitgefühl, das jetzt falsch und heuchlerisch ist. Schon sieht
sie sich allein durch städtische Straßen gehen, innehalten, um sich auf eine Bank
zu setzen oder an ein Gitter zu lehnen, sprachloses Grauen im Inneren. Sie denkt
an alles, was getan werden muss, um ein Leben zu demontieren.
»Sydney«, sagt er.
»Geh weg«, sagt sie.
Sie hört, wie er die Tür schließt.
Sydney sperrt ab und legt sich auf ihr Bett. Sie wartet. Gelegentlich
vernimmt sie eine laute Stimme, das Weinen einer Frau. Von Zeit zu Zeit klopft jemand
an die Tür und ruft ihren Namen, aber sie reagiert nicht. Sie wartet eine Stunde,
zwei. Sie wartet, bis sie ziemlich sicher ist, dass alle das Feld geräumt haben.
Ganz bestimmt sind die Gäste abgereist. Sie hofft, dass Ivers, Sahir und die anderen
nach Boston zurückgekehrt sind. Sie hofft von Herzen, dass ihre Eltern so vernünftig
waren, nach Hause zu fahren. Noch eine Minute, dann wird sie ihre Handtasche nehmen,
die Treppe hinuntergehen und das Haus verlassen. Sie wird zu Fuß in Richtung Portsmouth
gehen und dort einen Bus nehmen. Wohin, hat sie noch nicht entschieden.
Noch einmal blickt sie auf die kleine Reihe ihrer Ehen und Beinahe-Ehe
zurück: Beinahe dreimal verheiratet. Einmal geschieden. Einmal
verwitwet. Einmal vor dem Altar verschmäht.
Sydney öffnet die Tür, um zu prüfen, ob die Luft rein ist. Im Flur hört
sie nichts. Während sie mit ihrem schwarzen Koffer leise die Treppe hinuntergeht,
lauscht sie, um festzustellen, ob aus den an der Diele gelegenen Räumen Geräusche
zu vernehmen sind. Vielleicht, sagt sie sich, wissen alle, dass sie kommt, und gestatten
ihr zu verschwinden. Ihr Regenmantel hängt an einer Garderobe gleich bei der Haustür.
Es regnet nicht, aber Sydney nimmt ihn trotzdem vom Haken und zieht ihn über ihr
lachsrosa Kleid.
»Sydney«, sagt Mr. Edwards an der Küchentür. Er hat noch seinen dunklen
Anzug an, doch die Krawatte hat er abgenommen oder im Zorn heruntergerissen. »Ich
kann dir nicht sagen –«
Sydney hebt eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Ich rufe dir ein Taxi«, sagt er. »Hast du Geld? Du kannst hier bleiben,
solange du willst. Ich schäme mich für meinen Sohn.«
Er tritt in die Diele. »Ich möchte mich von ihm lossagen… Julie ist untröstlich.«
Sydney wendet sich zur Tür.
»Ich habe dieses Haus für die Familie gekauft, für meine Vorstellung von einer Familie«, sagt Mr. Edwards. »Ich habe
mir vorgestellt, es würde ein Ort werden, an dem die Familie zusammenkommt. Er würde
die Jungs und Julie locken und sie
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