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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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besucht.«
      »Ich dachte, du hättest es kapiert. Sie ist keine Frau, die es lange ohne Mann aushält. Aber weißt du, Salvo, sie hat überhaupt nichts Kokettes an sich. Ihre Nachbarn sagen, dass sie sehr selten ausgeht und keinen Besuch bekommt, weder von Verwandten noch von Freundinnen. Alles, was sie braucht, lässt sie sich nach Hause liefern. Halt, Moment: Am Sonntagvormittag geht sie immer in die Zehn-Uhr-Messe.«

      »Morgen ist doch Sonntag? Wir machen Folgendes. Wir treffen uns gegen Viertel vor zehn im Cafe Castiglione, und wenn sie vorbeigeht, zeigst du sie mir. Du hast mich neugierig gemacht.«

      Sie war mehr als schön. Montalbano beobachtete sie aufmerksam, während sie Richtung Kirche ging; sie war gut gekleidet, schlicht, nichts Auffälliges, ging mit erhobenem Kopf und nickte nur, wenn sie hier und da gegrüßt wurde. Sie bewegte sich nicht affektiert, alles an ihr war spontan und natürlich. Sie musste Mimi Augello, der stocksteif neben Montalbano stand, erkannt haben. Sie lenkte ihre Schritte von der Straßenmitte zum Bürgersteig, wo die beiden Männer standen, und erwiderte, als sie ganz nah war, Mimis verlegenen Gruß mit dem üblichen Kopfnicken. Doch diesmal spielte ein leises Lächeln um ihre Lippen. Es war zweifellos ein spöttisches, ein belustigtes Lächeln. Sie ging weiter.

    »Hast du das gesehen?«, fragte Mimi, blass vor Wut.
    »Ich hab's gesehen«, sagte der Commissario. »Und ich habe
    genug gesehen, um dir zu sagen, dass du dich da raushältst. Ab sofort bearbeitest du den Fall nicht mehr.«
    »Warum denn nicht?«

      »Weil die dich längst in der Hand hat, Mimi. Sie lässt dir das Blut zu Kopf steigen, und du siehst die Dinge nicht mehr, wie sie sind. Wir fahren jetzt ins Büro, und du berichtest mir zusammenfassend von deinen Besuchen im Hause Tarantino. Und gibst mir die Adresse.«

      Die Nummer 35 der Via Giovanni Verga, einer Straße inseleinwärts, war ein kleines einstöckiges Haus, frisch renoviert. Hinter dem Haus lag der Vicolo Capuana; die Gasse war so schmal, dass kein Auto hindurchkam. Auf dem Schildchen an der Sprechanlage stand: »G. Tarantino«. Montalbano klingelte. Drei Minuten vergingen, und niemand meldete sich. Der Commissario klingelte abermals, und diesmal meldete sich eine Frauenstimme. »Wer ist da?«
    »Ich bin Commissario Montalbano.« Kurze Pause, und dann:

      »Commissario, es ist Sonntag, es ist zehn Uhr abends, und um diese Uhrzeit belästigt man niemanden mehr. Haben Sie was vorzuweisen?«
    »Was meinen Sie?«
    »Einen Durchsuchungsbefehl.«

      »Ich bin gar nicht erpicht auf eine Durchsuchung! Ich will mich nur ein wenig mit Ihnen unterhalten.«

      »Sind Sie der Herr, der heute Vormittag mit Dottor Augello zusammen war?« Eine gute Beobachterin war Giulia Tarantino.
    »Ja, Signora.«

      »Commissario, entschuldigen Sie, aber ich komme gerade aus der Dusche. Können Sie fünf Minuten warten? Ich beeile mich.«

    »Lassen Sie sich Zeit, Signora.«
      Noch bevor die fünf Minuten um waren, schnappte das Türschloss auf. Der Commissario betrat eine große Diele, zwei Türen links, eine rechts und in der Mitte eine breite Treppe, die ins obere Stockwerk führte.
      »Kommen Sie herein.« Signora Giulia hatte sich vollständig angekleidet. Als der Commissario eintrat, blickte er sie scharf an: Sie war ernst, gefasst und keineswegs besorgt.
    »Dauert es lange?«, fragte sie.

    »Das hängt von Ihnen ab«, sagte Montalbano hart.
      »Dann setzen wir uns doch ins Wohnzimmer«, sagte die Signora.
      Sie wandte sich um und ging, gefolgt vom Commissario, die Treppe hinauf. Sie betraten einen sehr großen Raum mit modernen, aber recht geschmackvollen Möbeln. Die Frau ließ den Commissario auf dem Sofa Platz nehmen, sie selbst setzte sich in einen Sessel neben einem kleinen Tischchen mit einem stattlichen Zwanziger-Jahre- Telefon, offensichtlich made in Hongkong oder einem ähnlichen Ort. Giulia Tarantino nahm den Hörer von der goldenen Gabel und legte ihn auf das Tischchen. »So stört uns niemand.«

      »Danke, sehr aufmerksam«, sagte Montalbano. Mindestens eine Minute lang schwieg er unter den fragenden, doch immer noch schönen Augen der Frau, dann nahm er einen Anlauf:

    »Wie still es hier ist.«
      Die Bemerkung schien Giulia einen Augenblick lang zu irritieren.
      »Ja, in dieser Straße fahren keine Autos.« Montalbanos Schweigen dauerte eine weitere volle Minute.

    »Gehört dieses Haus Ihnen?«
    »Ja, mein

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