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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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nachdenklich hinterher. Er hegte eine nicht nur berufsbedingte Sympathie für Wißbegierde . Leider fand man heutzutage wenig wirklich wißbegierige junge Leute. Selbst an der Universität war die erste Frage, die man sich stellte, ob am Ende eine Menge Geld herauskäme. Zu verstehen versuchen, was der junge Goethe so treffend in seinem Faust ausgedrückt hatte, zu verstehen, was 'die Welt im innersten zusammenhält', das war aber für ihn mehr als eine Beschäftigung mit der man Geld verdiente. Es war der stärkste Durst, den man verspüren konnte, es war die Quelle einer unstillbaren Unruhe im Leben. Im Laufe seines nun fast sechzigjährigen Erdendaseins hatte er lernen müssen, dass die letzten Dinge des Lebens alles Wissen überschritten, aber die Unruhe der menschlichen Seele kannte seiner Meinung nach keinen besseren Ausdruck als den der Suche nach Wissen. Vielleicht gerade deshalb, weil es sich um eine unendliche Suche handelte. War nicht Goethes Faust gerade daran gescheitert, dass er die Grenzen des Wissens nicht ertrug und sich deshalb mit Mephistopheles und der Magie einließ? Nein, verbesserte er sich, Faust war gescheitert, weil er als alter Trottel einem jungen Mädchen hinterher stieg, das ähnlich hübsch gewesen sein musste wie die, mit der er sich eben unterhalten hatte.
    Er seufzte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
    Schon seit längerem beschäftigte er sich mit den europäischen Hexenverfolgungen. Es war eines der komplexen und schwierig zu erklärenden Phänomene der Frühen Neuzeit. In einer Zeit des Aufschwungs zu Humanismus und Wissenschaft schien es fast wie ein notwendiges Ausmerzen irrationaler, archaischer Reste einer abergläubischen Kultur, unausbleibliche Geburtswehen einer besseren, aufgeklärten Gesellschaft. Aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass die Verfolgungswellen, die innerhalb von fast hundert Jahren seit Mitte des sechzehnten Jahrhunderts das Leben von Zehntausenden von Menschen forderten, einen tiefen Schatten über die Epoche dieses Aufbruchs warfen. So hatte er sich entschlossen, eine größere Arbeit über das Thema in Angriff zu nehmen. Was lag da näher, als auf das umfangreiche Archiv der Stadt, in der er lebte zurückzugreifen?
    Aber seit einiger Zeit kam er nicht weiter. Anscheinend waren doch zu viele der alten Akten vernichtet oder bei den Plünderungen gegen Ende des letzten Krieges geraubt worden. Alle vorhandenen Dokumente ordneten sich auf einen Höhepunkt der Ereignisse um 1582 hin. Die wichtigsten Geschehnisse dieses Jahres aber waren nicht mehr zu rekonstruieren. Das war äußerst frustrierend. Er hatte das Gefühl, dass ihm die Auflösung einer Geschichte vorenthalten wurde. Seit Wochen blätterte er deshalb immer wieder dieselben Akten durch. Dabei war er auf die seltsamen Initialen gestoßen, von denen er Elaine erzählt hatte, und er verlegte sich nun auf die Rekonstruktion der Biographie des vermutlichen Autors der Dokumente.
    Vielleicht gewann er über diese Person einen neuen Zugang zu den Quellen?
    Es ergab sich das Bild eines Mannes, der selbst mit alchimistischen Praktiken vertraut gewesen sein musste und der sich, wahrscheinlich, sein Brot als Stadtschreiber und Chronist verdient hatte. Rosner vermutete, dass dieser Mann bei den meisten Verhören von Hexen anwesend gewesen war, dies aber weder in den Protokollen noch in seinen Chroniken durchblicken lassen wollte, da er nur durch Zwang Zeuge der grausamsten Torturen geworden war. Vielleicht hatte er sich deshalb dieses Initial ausgedacht, um seine Urheberschaft sowohl zu bestätigen wie gleichzeitig seine Identität zu verheimlichen?
    Der Professor schreckte hoch. Der faltige Archivar war wie aus dem Nichts neben seinem Tisch aufgetaucht. Rosner hatte gerade noch Zeit, ein Blatt weißes Papier über sein Notizbuch zu legen, eine schlechte Angewohnheit aus Zeiten, als er noch gemeint hatte, seine Originalität gegen allzu neugierige Kommilitonen verteidigen zu müssen. Aber gegenüber diesem Mann, dessen Neugier ihm unangenehm war, schämte er sich plötzlich nicht mehr wegen seiner Marotte.
    "Wir schließen gleich" krächzte der Archivar zwischen gelben Zähnen unfreundlich hervor. Deutlich stand der Mißmut über den Professor in sein Gesicht geschrieben. Er schien sich zu ärgern, dass es ihm bisher noch nicht gelungen war, einen Blick auf die Aufzeichnungen des Professors zu erhaschen.

 
    ***

 
    Marion fühlte sich sauelend .
    Zusammengerollt lag sie auf dem Sofa in ihrer

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