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Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Die Nacht des Ta-Urt (German Edition)

Titel: Die Nacht des Ta-Urt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bödeker
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ihre Stimmen sie in Ruhe lassen würden. Alles würde in eine klare Stille eintauchen, und ihr würde die göttliche Herkunft ihres Selbst bewußt werden.
    Wenn es doch bald so weit wäre.
    Andere in der Gruppe waren schon viel weiter als sie und durften zur Belohnung schon Arbeiten delegieren, während sie noch immer Befehlsempfängerin war.
    Nachdenklich sah sie in den Spiegel. Herrgott, jetzt bekam sie wieder diesen stieren, blödsinnigen Ausdruck. Das hatte schon ihr Vater immer bemerkt.
    "Hey, schaut Mal, jetzt guckt sie wieder wie eine Kuh, und so sollten wir sie auch behandeln, was?"
    Dann hatte er immer laut gelacht und ihr einen Klaps in den Nacken gegeben. Das tat richtig weh, aber er meinte es bestimmt nicht böse. Schließlich hatte er ihr auf den vorwurfsvollen Blick der Mutter hin immer zugezwinkert und gesagt: "War ja nur ein Klaps, nicht wahr?"
    Marion rieb sich geistesabwesend den Nacken. Sie schämte sich immer noch, dass sie ihrem Vater zugetraut hatte, ihr weh tun zu wollen.
    Und nachts hatte sie im Bett gelegen und gehört, wie der Vater es der Mutter gab.
    Klapse in den Nacken.
    Ihr Bruder hatte sie natürlich ausgelacht. Was verstand sie schon von solchen Dingen. Aber viel mehr als sie mit ihren neun Jahren hatte auch er nicht verstehen gelernt. Mit sechzehn war er an einer Überdosis gestorben.
    Auf jeden Fall liebte sie ihren Vater abgöttisch. Als sie noch ganz klein gewesen war, hatte er mit ihr all die Sachen gemacht, die gute Väter mit ihren Töchtern tun, aber als sie dann in eine frühe Pubertät gekommen war, hatte er all die Sachen mit ihr gemacht, die gute Väter besser nicht mit ihren Töchtern tun sollten. Das lag sicher daran, dass der Krebs ihrer Mutter alles aus dem Bauch heraus gefressen und nur noch eine lustlose, übellaunige Hülle zurückgelassen hatte.
    Marion legte eine Hand auf ihren Bauch.
    Man wusste nie, was da drinnen vorging, überlegte sie, man konnte sich gut fühlen und da drinnen lauerten Dinge, wie dieses eklige Alien aus dem Film, Dinge die ein eigenes Leben hatten und die einen töten konnten.
    Ihr Vater war so verzweifelt gewesen.
    Marion hatte ihn weinen hören, nachts in seinem Zimmer und nach einiger Zeit war er zu ihr herüber gekommen um bei ihr Trost zu suchen.
    "So viel wirst du mir doch schuldig sein ," hatte er immer gesagt.
    Ihre Hand rutschte langsam in die Gegend unter ihrem Bauch. Auch hier lauerten Sachen, die einen töten konnten, einen selbst oder andere.

 
    ***

 
    Als Eckhardt anbot, ihr eine Wohnung zu bezahlen, damit sie von ihrer Mutter wegkam, kam ihr das wie eine ganz natürliche Sache vor. Er zahlte die Miete und gab ihr ein kleines monatliches Taschengeld. In der ersten Zeit kam er zwei- dreimal die Woche vorbei um mit ihr zu schlafen. Sie wollte es und haßte es zugleich, aber schließlich war es doch eine Ehre.
    Er verlangte keine perversen Sachen von ihr, wie sie zuerst befürchtet hatte, vielmehr schien er wenig wirkliches Interesse an Sex zu haben. Es kam ihr eher so vor, als betrachte er es als eine Art Entschlackung, ein notwendiges Übel, wie Essen, Trinken und Ausscheidung.
    "Es ist eine vorübergehende Sache ," sagte er einmal, nachdem er sich von ihr hinunter rollte, und sie wusste nicht genau, ob er nun ihre Beziehung oder den Sex allgemein damit meinte.
    Als Gegenleistung verlangte er nur von ihr, ein Auge auf ihre Nachbarin zu haben. Sie sollte ihn über ihre allgemeinen Verhältnisse auf dem Laufenden zu halten. Bekam sie oft Besuch? Von wem? War sie oft außer Haus? Wo ging sie hin? Blieb sie lange weg? Was machte sie für einen Eindruck? War sie fröhlich oder eher deprimiert?
    So hatte sie begonnen, Elaine zu beobachten, wenn diese nach Hause kam oder das Haus verließ. Aber da war nicht viel zu berichten. Sie schleppte Mal Bücher mit hinein in die Wohnung, dann wieder Bücher hinaus, sicher nicht ungewöhnlich für eine Studentin. Einmal kam ein junger Mann vorbei und half ihr, ein paar alte Stühle herunter zu tragen und auf dem Dach seines Wagens zum Abtransport auf die Müllkippe zu verstauen. Ein paar Tage später wuchtete sie dann allein ein paar Ikea-Kartons die Treppe hoch. Neue Stühle, vermutete Marion. Besuch bekam sie fast nie. Zweimal kam eine junge Frau, mit einem Stapel Bücher unter dem Arm, vorbei. Zum Lernen. Sonst anscheinend keine Freundinnen und vor allem keinen Freund.
    Dieses Detail quittierte Eckhardt mit einem zufriedenen Grinsen, aber ansonsten waren ihm ihre Informationen zu

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