Die Nacht des Zorns - Roman
hineingerissen.«
»Mo hat Sie nicht bedroht?«
»Nein.«
»Sie waren es, der die Gitter geöffnet hat?«
»Ja.«
»Ach du Scheiße.«
Adamsberg warf sich in den Stuhl zurück und wartete, dass Mercadet die Information verdaute, was bei ihm normalerweise recht schnell ging.
»Okay«, sagte Mercadet und sah auf. »Das ist mir hundertmal lieber als der Gedanke, ich wäre im Vernehmungsraum weggesackt. Und wenn Mo den Alten nicht umgebracht hat, blieb Ihnen gar nichts anderes übrig, als das zu tun.«
»Und zu schweigen, Mercadet. Allein Danglard hat verstanden.Aber Sie, Estalère und ich werden in acht Tagen sehr wahrscheinlich hochgehen. Und ich habe Sie nicht mal nach Ihrer Meinung gefragt.«
»Es blieb Ihnen gar nichts anderes übrig, als das zu tun«, wiederholte Mercadet. »Wenigstens hat mein Schlaf dann zu etwas genützt.«
»Das bestimmt. Ohne Sie hier im Hause weiß ich nicht, was ich mir hätte einfallen lassen sollen.«
Der Schmetterlingsflügel. Mercadet blinzelt mit den Augen in Brasilien, und in Texas ergreift Mo die Flucht.
»Haben Sie mich deshalb gestern Überstunden machen lassen?«
»Ja.«
»Sehr gut. Habe ich überhaupt nicht gemerkt.«
»Aber wir werden hochgehen, Lieutenant.«
»Es sei denn, Sie kriegen einen der Clermont-Söhne zu fassen.«
»So schätzen Sie die Lage also ein?«, fragte Adamsberg.
»Vielleicht. Ein junger Mann wie Mo hätte seine Schnürsenkel hintenrum geführt und dann vorn verknotet. Mir ist nicht klar, warum die Enden benzingetränkt sind.«
»Mein Kompliment.«
»Haben Sie das auch gesehen?«
»Ja. Und warum denken Sie da zunächst an einen der Söhne?«
»Stellen Sie sich deren Verluste vor, wenn Clermont Vater seine Haushälterin geheiratet und die Kinder adoptiert hätte. Man sagt, die Söhne haben nicht das teuflische Genie des alten Antoine und hätten sich in sehr unbesonnene Operationen gestürzt. Vor allem Christian. Ein kaputter Typ, ein Spieler, der gern mal die Tagesleistung eines Bohrturms innerhalb von vierundzwanzig Stunden verjubelt.« Mercadet schüttelte seufzend den Kopf. »Dabei wissen wir nicht mal, ob er es war, der den Wagen fuhr«, sagte er abschließend und stand auf.
»Lieutenant«, erinnerte Adamsberg ihn, »wir brauchen absolutes Schweigen, ein Schweigen für immer.«
»Ich lebe allein, Kommissar.«
Nachdem Mercadet gegangen war, lief Adamsberg einen Moment in seinem Büro auf und ab, räumte die herumliegenden Geweihstangen an die Wand. Brézillon und sein Hass auf diese Clermont-Brasseur-Bande. Den Polizeidirektor könnte die Idee reizen, über den Grafen von Ordebec bis zu ihnen vorzudringen. In welchem Fall er, Adamsberg, eine Chance hätte, dass ihm die normannische Angelegenheit übergeben würde. In welchem Fall er es mit dem Wütenden Heer zu tun bekäme. Eine Aussicht, die eine unbegreifliche Anziehungskraft auf ihn ausübte, wie aus Urgründen emporgestiegen. Er erinnerte sich an einen jungen Mann, eines Abends, der über ein Brückengeländer gebeugt stand und ins Wasser starrte, das unter ihm heftig strömend dahinrauschte. Er hatte seine Mütze in der Hand, und sein Problem, so erklärte er Adamsberg, war die unwiderstehliche Versuchung, sie ins Wasser zu werfen, obwohl ihm sehr viel an der Mütze lag. Und der junge Kerl versuchte zu begreifen, warum es ihn so heftig dazu drängte, obwohl er es doch gar nicht wollte. Schließlich war er, die Mütze fest in der Hand, weggerannt, als müsste er sich aus einem Magnetfeld losreißen. Heute verstand Adamsberg diese idiotische Geschichte mit der Mütze auf der Brücke schon besser. Die Kavalkade der schwarzen Pferde zog durch sein Denken, raunte ihm unergründliche und beharrliche Aufforderungen zu, so beharrlich, dass er den säuerlichen Realismus der politisch-finanziellen Angelegenheiten des Clermont-Brasseur-Clans bereits als lästig empfand. Einzig das Gesicht von Mo, ein Grashalm unter ihren Riesenfüßen, gab ihm die Kraft, daran zu arbeiten. Die Geheimnisse der Clermonts bargen keinerlei Überraschung, sie waren ermüdend in ihrem Pragmatismus, was den schrecklichen Tod des alten Industriellen noch trostloser erscheinen ließ. Während dasGeheimnis von Ordebec eine unverständliche, dissonante Musik aussandte, eine Komposition aus Trugbildern und Wahnvorstellungen, die ihn anzog wie das Wasser, das unter der Brücke dahinströmte.
Er konnte es sich nicht erlauben, an diesem aufgewühlten Tag die Brigade allzu lange zu verlassen, darum nahm er einen Wagen,
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