Die Nacht Hat Viele Augen -1-
hindurchsehen, durch ihre Bluse, ihre Unterwäsche direkt bis zu ihrem bebenden Fleisch. Seine Musterung war frech und arrogant, als habe er jedes Recht, sie anzustarren. So wie ein Piratenkapitän vielleicht seine hilflose Gefangene betrachtete … bevor er sie zu weiteren Vergnügungen mit in seine Kabine zerrte.
Raine riss ihren Blick los. Ihre übersprudelnde Fantasie ging sofort mit ihr durch und tauschte den Armanianzug gegen ein Piratenoutfit: weite Bluse, enge Kniebundhosen, in denen sich deutlich sein … seine Ausstattung abzeichnete, ein Enterschwert, das in einer roten Schärpe steckte, und ein goldener Ring im Ohr. Es war lächerlich, aber Hitze stieg in ihr auf, und sie wurde nervös. Sie musste unbedingt aus diesem Fahrstuhl raus, bevor noch die spiegelnden Wände beschlugen.
Zu ihrer ungeheuren Erleichterung hielt der Lift im sechsundzwanzigsten Stock, und die Türen öffneten sich. Sie stürzte hinaus und prallte gegen den Mann, der draußen stand und einsteigen wollte. Sie murmelte eine zusammenhanglose Entschuldigung und eilte in Richtung des Treppenhauses. Wenn sie zu Fuß ging, würde sie zwar zu spät kommen, aber sie konnte sich unterwegs wieder etwas fangen.
Oh Gott, wie armselig und wie typisch. Ein heißer Typ starrte sie im Fahrstuhl an, und sie zerfloss gleich wie eine verängstigte Jungfrau. Sie hatte die einmalige Chance ihres Lebens verpasst, von einem Piraten geschändet zu werden. Kein Wunder, dass sie kein Liebesleben hatte. Sie sabotierte es ja schon, bevor es überhaupt anfangen konnte. Jedes verdammte Mal.
Der Arbeitstag begann Unheil verheißend. Harriet, die Büromanagerin, kam vorbeigefegt, während Raine ihren Mantel aufhängte. Harriets schmales Gesicht war ganz verkniffen vor lauter Missfallen. »Ich hatte Sie früher erwartet«, bemerkte sie schnippisch.
Raine warf einen Blick auf die Uhr. Es war 7:32 Uhr. »Aber ich … es ist nur …«
»Sie wissen genau, dass der aktualisierte Report über die Befolgung der OFAC -Richtlinien um zwölf Uhr fertig und mit FedEx aus dem Haus sein muss! Und wir haben immer noch keine Antwort von der Banque Intercontinentale Arabe über die eingefrorenen Subventionen für die Weinlieferungen. In Paris ist es bereits 16:30 Uhr, und unsere Lieferanten trommeln bereits mit den Fingern. Irgendjemand muss die Bestellung für die brasilianischen Espressobohnen verhandeln, und Sie sind im Moment die Einzige im Büro, die halbwegs vernünftig Portugiesisch spricht. Und gar nicht erwähnen will ich die Tatsache, dass die neuen Seiten der Website noch nicht fertig sind. Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie auch ein bisschen Verantwortung für Ihre Arbeit übernehmen, Raine. Ich kann mich nicht um alles kümmern.«
Mit zusammengebissenen Zähnen murmelte Raine eine Entschuldigung, setzte sich und tippte den Code ein, der die Voicemail an ihrem Telefon abschaltete.
»Und noch etwas. Mr Lazar möchte, dass Sie beim Morgenmeeting Kaffee, Tee und Gebäck servieren«, fuhr Harriet fort.
Entsetzt sprang Raine auf. » Ich? «
Harriet verzog die Lippen. »Ich habe mich nicht besonders darauf gefreut, ihm zu sagen, dass Sie zu spät sind.«
Raines Magen zog sich zusammen. »Aber er hat niemals … Stefania hat immer …«
»Er will Sie«, unterbrach Harriet. »Und was er will, das bekommt er. Der Kaffee kocht schon, was allerdings nicht Ihnen zu verdanken ist, und der Caterer hat gerade das Essen gebracht. Es steht in der Küche. Das Porzellan und das Silberbesteck befinden sich bereits auf dem Konferenztisch.«
Stefania steckte den Kopf in Raines Arbeitsnische. »Achte darauf, dass du die Choreografie des Geisha-Girls absolut perfekt bringst«, riet sie ihr. »Bei Lazar muss das ästhetisch perfekt sein. Ein Tropfen Kaffee daneben, und du bist erledigt.« Sie musterte Raine mit einem kritischen Blick. »Und frisch noch einmal dein Make-up auf. Dein linkes Auge ist verschmiert. Hier, komm, nimm meinen Lippenstift.«
Raine starrte auf den kleinen Stift, sprachlos vor Bestürzung. Es war das erste Mal, dass Victor Lazar öffentlich ihre Existenz anerkannt hatte. Sie hatte ihn natürlich schon gesehen. Es war auch unmöglich, ihn zu übersehen. Wie ein Sturm fegte er durch das Büro, trieb Leute vor sich her und zerrte andere hinterdrein. Er war so dynamisch und einschüchternd, wie sie ihn aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte, allerdings nicht so groß.
Als sie ihm das erste Mal nach all den Jahren wieder begegnet war, waren seine
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