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Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Die Nacht Hat Viele Augen -1-

Titel: Die Nacht Hat Viele Augen -1- Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Mckenna
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einiges weniger anstrengend als der Traum von dem blutenden Grabstein. Aus ihm wachte sie wenigstens nicht nach Luft ringend und mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen auf, voller Trauer um ihren verstorbenen Vater.
    Trotzdem, der Schädel und die gekreuzten Knochen beunruhigten sie. In ihren wiederkehrenden Träumen gab es immer irgendwelche Bilder, die für den Tod standen. Glückliches Mädchen, dachte sie mit grimmigem Vergnügen. So fängt man den Tag richtig an … mit einem bluttriefenden Dolch, einem Nest voller Schlangen oder einem Atompilz. Der tägliche Schrei, mit dem sie Adrenalin in ihren Körper pumpte, war besser als Kaffee.
    Ihr Magen flatterte, als sie in die Parkgarage des Gebäudes fuhr, in dem sich die Firmenbüros befanden. Jeremy, der stets zu einem Flirt aufgelegte Parkwächter, zwinkerte ihr zu und winkte, während ihr nur ein mattes Lächeln gelang. Sie hatte ihren Job bei Lazar Import und Export unter falschen Voraussetzungen bekommen, und mit jedem Tag zahlte sie einen höheren Preis für diesen Betrug. Sie hatte die riesige Firma, die in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig war, bis in den letzten Winkel durchleuchtet und ihren Lebenslauf so angepasst, dass er dem Personalchef gefallen musste. Sie beruhigte ihr schlechtes Gewissen, indem sie sich sagte, dass sie im Recht war und alles einer gerechten Sache diente. Trotzdem hatte Raine noch nie gut lügen können. Eine Kleinigkeit zum Frühstück würde jetzt helfen, aber dafür war keine Zeit, nicht mal für ein Stück Gebäck.
    Bei Lazar Import und Export musste man weiß Gott schon hart genug arbeiten, auch wenn man nicht ständig lügen musste. Es war der mieseste und tückischste Arbeitsplatz, den sie je erlebt hatte. Jederzeit musste man damit rechnen, ein Messer in den Rücken gerammt zu bekommen. Zudem bestand nicht die geringste Chance, Freundschaften mit Kollegen zu knüpfen.
    Kritisch betrachtete sie ihr Spiegelbild in den auf Hochglanz polierten Wänden des Fahrstuhls. Sie hatte abgenommen. Ihr Rock saß zu tief auf den Hüften. Aber wer hatte bei Lazar schon Zeit, etwas zu essen? Sie konnte schon von Glück sagen, wenn sie im Laufe des Tages eine Sekunde Zeit fand, um zu pinkeln.
    Der Fahrstuhl hielt im Erdgeschoss und verkündete dies mit einem Ping , als sie gerade noch einmal ihre Lippen nachzog. Die Tür glitt auf, ein Mann kam herein, und die Tür schloss sich wieder hinter ihm. Die Kabine schien plötzlich sehr eng zu sein. Sie steckte den Lippenstift wieder in ihre Handtasche, und ein leichtes Kribbeln lief über ihre Haut, wie eine Brise, die durchs hohe Gras raschelte.
    Sie achtete darauf, ihn nicht direkt anzusehen, wie es sich in einem Fahrstuhl gehörte, aber aus den Augenwinkeln konnte sie trotzdem einen flüchtigen Eindruck gewinnen. Er war groß, vielleicht etwas über eins achtzig. Schlank. Dunkel gebräunte Haut. Sie warf einen flüchtigen Blick auf seine großen Hände, die aus den weißen Manschetten seines Anzugs hervorschauten – seines sehr eleganten und teuren Anzugs. Wahrscheinlich Armani, dachte sie und warf einen Blick auf den Schnitt seiner Ärmel. Ein Sommer in Barcelona mit diesem schamlosen Modepüppchen Juan Carlos hatte sie eine Menge Feinheiten über Männermode gelehrt.
    Der Mann sah sie an. Sie spürte den Druck und die Hitze seines Blicks auf der Seite ihres Gesichts. Sie hätte ihn direkt ansehen müssen, um sicher zu sein. Und zum ersten Mal war ihre Neugier stärker als ihre Furcht.
    Vielleicht waren es der Totenschädel und die gekreuzten Knochen aus ihrem Traum, die sie überhaupt erst auf den Gedanken brachten, aber das Bild tauchte sofort vor ihrem geistigen Auge auf, als sie den Blick hob, um ihn anzusehen.
    Er hatte das Gesicht eines Piraten.
    Er war nicht im klassischen Sinne schön. Seine Züge waren zu grob und kantig, seine Nase uneben und schief. Das tiefschwarze Haar war kurz geschnitten. Es stand steil in die Luft wie eine schwarze Scheuerbürste aus Samt. Seine breiten Wangenknochen stachen hervor, und es lagen tiefe Höhlungen darunter. Die Augenbrauen waren dick, mit schwarzen Wimpern darunter, und sein Mund war sowohl grimmig als auch sinnlich. Aber es waren seine Augen, die ihr einen Schock versetzten. Sie waren schwarz, mit schweren Lidern, und wirkten ausgesprochen exotisch. Sie starrten sie mit brennender Intensität an.
    Es waren die Augen eines Seeräubers auf Kaperfahrt.
    Sein Blick glitt über ihren Körper, als könne er durch ihr klassisches graues Kostüm

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