Die Nacht Hat Viele Augen -1-
und einen Teller mit Keksen. Dann setzte sie sich ans andere Ende des Sofas.
»Also, Ms Cameron«, sagte sie munter. »Wie kann ich Ihnen helfen? Ich hätte Ihnen Ihre Fragen auch gern am Telefon beantwortet.«
»Leider war ich nicht allein. Ich möchte Ihnen gern ein paar Fragen zu diesem Bericht stellen.« Sie zog den braunen Umschlag hervor, den die Gerichtsmedizin von Severin Bay ihr geschickt hatte.
Die Ärztin runzelte die Stirn, während sie die Papiere darin überflog. »Soweit ich mich erinnere, war die Sache ziemlich klar und eindeutig. Es war ein Unfall. Ich erinnere mich noch gut daran. Ich war die einzige Ärztin in der Gegend, die auch eine pathologische Ausbildung besaß, daher wurde ich oft in die angrenzenden Gemeinden gerufen, um Autopsien durchzuführen. In Orten, die so klein waren wie Severin Bay, gab es nicht viele Fälle mit zweifelhafter Todesursache. So etwas bleibt einem dann im Gedächtnis haften.«
»Erinnern Sie sich noch, wie die Autopsie verlaufen ist?«, fragte Raine.
»Ja. Es war genauso, wie es im Bericht steht. Die toxikologischen Proben wiesen darauf hin, dass er sehr viel getrunken hatte. Dann gab es eine Verletzung am Hinterkopf, wahrscheinlich vom Baum des Segelboots. An dem Nachmittag hatte es einen heftigen Sturm gegeben, den wir alle miterlebt hatten. In den Lungen befand sich eine Mischung aus Wasser und Sauerstoff, und er hatte Wasser im Magen. Das deutete darauf hin, dass er tatsächlich ertrunken ist, falls Sie sich darüber Gedanken machen.«
Raine suchte nach Worten. »Gab es irgendeine Veranlassung zu glauben, dass der Tod vielleicht … doch kein Unfall gewesen ist?«
Die Lippen der Ärztin wurden schmal. »Wenn das der Fall wäre, hätte ich es mit Sicherheit im Bericht vermerkt.«
»Ich will nicht Ihre Professionalität anzweifeln«, versicherte Raine ihr. »Ich denke nur, nun ja … wäre es denkbar, dass ihn vielleicht jemand niedergeschlagen hat? Gab es irgendeine Spur am Baum, die zu der Kopfwunde gepasst hat?«
»Ich nehme an, theoretisch hätte ihn jemand niederschlagen können«, erklärte die Ärztin widerwillig. »Aber mehrere Augenzeugen haben gesehen, wie er Stone Island allein verlassen hat, und der Schlag hat nicht zu einer offenen Wunde geführt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man an einem Aluminiumbaum eine Spur davon finden würde. Zumal man das Boot vier Stunden später gekentert aufgefunden hat.«
Raine legte den Keks, den sie kaum angerührt hatte, auf die Untertasse zurück und kämpfte die drohende Übelkeit nieder. Mühsam beherrscht erhob sie sich. Sollte sie eine Panikattacke bekommen, brauchte sie dafür sicher kein Publikum.
»Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben, Dr. Fischer«, erklärte sie matt. »Es tut mir leid, wenn meine Fragen unangemessen erschienen sind.«
»Das ist schon in Ordnung.« Dr. Fischer folgte Raine zurück in die Diele und nahm ihren Mantel aus dem Schrank. Sie reichte ihn ihr und wollte noch etwas sagen. Doch dann unterbrach sie sich und schüttelte den Kopf.
Raine hielt mitten in der Bewegung inne, den Mantel halb übergestreift. »Was?«
Die Ärztin spielte nervös mit den Händen in den Taschen ihrer Strickjacke. »Ich weiß nicht, ob es von Bedeutung oder nützlich für Sie ist. Sie sind nicht die Einzige, die sich für die Ergebnisse des Berichts interessiert hat.«
Raine erstarrte und vergaß, dass ihre Arme rücklings in den Ärmeln ihres Mantels steckten. Dr. Fischer griff nach dem Kragen des Mantels und zog, bis er richtig auf Raines Schultern saß. Dann tätschelte sie Raine, als sei sie ein kleines Kind.
»Zwei FBI -Agenten sind zu mir gekommen und haben fast die gleichen Fragen gestellt. Sie schienen ziemlich frustriert zu sein, dass Peter Lazar ertrunken ist. Sie waren überzeugt, dass ich keine Ahnung von meinem Job habe. Arrogante Idioten waren das, beide.«
Raine versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war zu trocken. »Was wollten sie von Peter Lazar?«
»Nun ja, sie haben mich nicht in alle Einzelheiten eingeweiht, aber zu jener Zeit gab es eine Menge Gerüchte und Spekulationen.«
»Worüber?«
Die Miene der Ärztin verhärtete sich, als bedaure sie es, das Thema überhaupt angesprochen zu haben. »Oh, die wilden Dinge, die sich auf Stone Island ereignet haben sollen, unter anderem. Man sagte, die Insel würde ihren Namen zu Recht tragen, wegen der Mengen von Drogen, die ihren Weg dorthin fanden. Es gab einige wirklich legendäre Partys da draußen. Nur
Weitere Kostenlose Bücher