Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Schwert zu ihm käme, sollte er ihn seinerseits adoptieren und ihm das Anwesen hinterlassen. Das war alles, was ich von ihm verlangte. Fünfzig Jahre des Wohlstands und sogar ein Teil der Reisernte für diejenigen seiner Söhne, an deren Stelle ich vielleicht treten würde, und das Einzige, was von ihm erwartet wurde, war, dass er mich adoptierte und mir den Namen meines ›Vorfahren‹ zurückgab.
Aber er wurde habgierig. Er missbrauchte den Reichtum dieses Anwesens. Er verärgerte meine Nachbarn, und als ich zurückkehrte, leugnete er seine Pflicht und den Eid, den er geleistet hatte. Er weigerte sich, seine eigenen Söhne beiseitezuschieben. Am Ende, als ich ihr Leben als Pfand für seine Verpflichtung nahm, stimmte er zu. Doch er fuhr fort, gegen mich Komplotte zu schmieden, oder – was mehr der Wahrheit entspricht – gegen den jungen Mann, von dem er glaubte, dass ich es war. Am Ende begann er, die Wahrheit zu ahnen. Vielleicht hat ihm deine Mutter dabei geholfen, weil sie glaubte, dass sie eines Tages die Dame des Hauses sein würde.
Ich gab ihm jede Chance, den Rest seines Lebens in Ehren und Wohlstand zu leben. Ich gab ihm dieselbe Chance, die ich über die Jahre hinweg anderen gegeben hatte. Sie entschieden sich für die ehrenhafte Lösung und erfüllten ihr Versprechen. Aber dein Vater ließ mir keine andere Wahl. Er hatte sogar deine älteren Brüder in seine Komplotte hineingezogen. «
»Und so habt Ihr sie alle getötet.«
»Ja. Das war stets der Preis des Verrats.« Die Worte hatten den eisig kalten Klang der unverblümten Wahrheit. »Warum bist du hierhergekommen? Um den Dämon zu erschlagen und Anspruch auf deine falsche Erbschaft anzumelden?«
»Nein«, sagte Hidekane, nachdem er einen Augenblick lang nachgedacht hatte. »Daran hatte ich viele Jahre lang gedacht. Aber ich bin kein Mann des Schwertes. Meine einzigen Waffen sind Worte. Mein Schauspiel, die Wahrheit des Bösen in Euch, ist meine Rache. Es wird länger leben als Ihr oder ich, so wie der Fluch, mit dem ich Euch belege.«
»Dein Spiel enthielt einen Kern Wahrheit«, räumte der dämonische Baron nach einer Weile ein. »Dein Herz wusste das die ganze Zeit. Denn wessen Seele hast du auf der Bühne verkörpert? Die deines Vaters … oder meine?«
Einen Augenblick lang wich der Dichter seinem Blick aus und starrte auf die dunklen, abgestorbenen Bäume, die sie umgaben. »Euer Fluch ist es, das zu sein, was Ihr seid. Mein Fluch ist es, mir das nur zu gut ausmalen zu können«, meinte er nach einer Weile niedergeschlagen.
»Ich bin nicht verflucht, ich bin nur, was ich bin. Ich habe nicht den Wunsch, mich zu ändern … oder zu sterben.«
»Jetzt vielleicht nicht. Aber eines Tages…«Hidekanes Stimme klang seltsam losgelöst, als hätte er die bedächtigen Rhythmen seines Stückes verlassen und tastete jetzt nach einer Wahrheit, die er nie ganz artikuliert hatte. »Eines Tages kann es sein, dass meine Worte die Euren sind.«
»Es kann aber auch sein, Meister Hidekane, dass du deinen eigenen Grabspruch geschrieben hast.«
»Tut das, wenn Ihr wollt, Baron Dämon. Tötet mich. Aber wenn Ihr das tut, wird das meine Worte nur noch stärker machen.«
»Du darfst dieses Stück nicht für Baron Konishi spielen«, sagte Baron Sadamori, und der Stückeschreiber wusste, dass er in dieser Nacht nicht sterben würde.
»Nein, und auch für keinen anderen Zuschauer. Nicht so, wie es jetzt ist. Aber ich habe bereits eine andere Version geschrieben, und die wird passen. Ich bin sicher, sie wird sehr populär werden.«
»Hundert Jahre von heute wird keiner deinen Namen mehr kennen«, erklärte Baron Sadamori. Zu seiner Überraschung verzog sich Hidekanes Mund zu einem schmalen Lächeln, und er verbeugte sich graziös mit spöttischem Respekt.
»Ihr werdet ihn kennen, Fujiwara no Sadamori. Ihr schon.«
26
Oktober, 1902
Und ich erinnerte mich an ihn, mehr als einmal sogar in den Jahren seit jener frostklaren Nacht im fünfzehnten Jahrhundert. An dem geteilten Dämon, den er auf der Bühne verkörpert hatte, war einiges Wahre gewesen … aber ich war nie nur das. Während die Jahre dahinzogen, gab es Zeiten, wo ich meinen Zustand hasste, und solche, wo ich ihn genoss. Ich sehnte mich nach dem Tod und klammerte mich ans Leben. Ich lebte weiter, weil es für mich gar keine andere Möglichkeit gab, und doch war an diesem Leben vieles, das sich in keiner Weise von dem jedes anderen Menschen in meinem Lande unterschied. Ich hatte meine
Weitere Kostenlose Bücher