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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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stieg wieder in meine Sänfte. Als sie sich hob, begann ich, mein neues Schwert zu säubern.
    Die Prozession zog weiter.
     
    Es brennt. Ich fühle die Hitze, die von dem Feuer ausgeht – sie weht hinter mir in dem engen Tunnel heran, durch den ich gerannt bin. Ich weiß, dass es mich im nächsten Augenblick einholen wird. Dann wird mein Blut kochen, meine Knochen schmelzen, meine Haut verkokeln und sich auflösen. Und wenn es vorbei ist, wird keine Asche und kein Ruß zurückbleiben. Es wird keine Spur geben, dass ich je existiert habe. In der Sekunde, bevor es mich erreicht, schreie ich.
     
    Ich erwachte, diesmal in der Dunkelheit meines Zimmers in dem Gasthof an der Straße. Einen Augenblick lang fühlte ich die Hitze des Feuers auf meiner Haut. Ein Frösteln schloss sich an, als die Hitze von Kälte abgelöst wurde. Ich träumte jetzt nicht mehr so oft. Dass ich denselben Traum zweimal durchlebt hatte, beunruhigte mich. Ich war einmal fast in einem Feuer ums Leben gekommen, aber jetzt schien mir das unbedeutend im Vergleich mit dem Inferno, das in meinem Traum tobte. Das Feuer in meinem Alptraum schien mir groß genug, um ganz Japan zu verschlingen, die ganze Welt zu verzehren.
    Ich hörte Schritte im Korridor vor meinem Zimmer. Ich vernahm halblaute Stimmen hinter den Wandschirmen, dann ein leises Klopfen. Ich erhob mich von meiner Matte und griff nach meinen Schwertern: meinem eigenen Kurzschwert und der Muramasa-Klinge. Der Wandschirm schob sich zur Seite, und Naomasa trat mit einer Verbeugung ein.
    »Verzeiht mein Eindringen, mein Gebieter. Ich weiß, Ihr habt gesagt, Ihr wolltet bis zur Stunde des Hundes nicht gestört werden, aber hier ist ein Bote aus Edo. Er ersucht um die Erlaubnis, Euch sprechen zu dürfen.« Die tief eingegrabenen Falten um Naomasas Mund deuteten an, dass der Bote nicht etwa ersucht, sondern gefordert hatte.
    »Gut. Lasst ihn zu mir kommen. Der Wirt soll Sake und Essen auftragen.«
    Naomasa verbeugte sich erneut, und ich drehte mich um, um die Wandschirme zum Garten zu öffnen. Der kleine Hof lag im Halbdunkel des Zwielichts vor mir, aber ich sah doch den fahlgrauen Kimono eines meiner Soldaten.
    Hinter mir huschte eines der Mädchen des Gasthofs herein, um das Bettzeug wegzuschaffen. Ein anderes erschien mit einem Tablett mit Sake und Reis. Als Naomasa mit dem Boten zurückkehrte, saß ich mitten im Raum, meine Schwerter neben mir auf dem Boden.
    Ich hatte nicht geglaubt, dass der Bote tatsächlich aus Edo gekommen war. Aber als ich jetzt das ausgemergelte Gesicht des Mannes und seine zitternden Glieder sah, als er sich nach seiner Verbeugung zurücklehnte, begann ich es für möglich zu halten. Er musste in mörderischem Tempo geritten sein, um uns in einem solchen Zustand zu erreichen.
    »Mein Gebieter«, begann er, die Augen respektvoll gesenkt. »Euer Befehlshaber in Edo hat mich geschickt. Es hat ein großes Unglück gegeben.« Die Stimme stockte ihm, und ich sah Naomasas Stirnrunzeln hinter seinem Rücken. »Einen Tag, nachdem Ihr die Stadt verlassen habt, gab es ein Erdbeben.« Ich nickte, denn die gab es häufig. Besser ein Erdbeben, als ein Krieg, dachte ich, oder der Befehl, zum Shogun zu kommen. »Und ein Feuer.« Die Worte entrissen mich meiner vorschnellen Erleichterung.
    »Ein Feuer.« Ich sprach die Worte aus und sah, wie der Mann erbleichte und wieder die Augen senkte.
    »Ja, mein Gebieter. Unser Regiment hat dagegen angekämpft, aber … Verzeiht uns, Baron Sadamori, unsere Anstrengungen waren vergebens. Wir haben gerettet, was wir konnten, aber …«
    »Mein Haus?«
    »Ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt.«
    Es gab noch eine Frage zu stellen, aber ich brachte es nicht fertig, sie auszusprechen. Ein großes, hungriges Brausen in meinen Ohren übertönte sie. Dann arbeitete mein Mund wieder.
    »Meine Frau?«
    »Sie ist tot, mein Gebieter.«
    Jetzt loderte das Feuer hinter mir auf und holte mich endlich ein. In meinem Bewusstsein war nichts als brennende Schwärze. Als sie sich zurückzog, stellte ich fest, dass ich stand und die verfluchte Muramasa-Klinge in der Hand hielt, nur Zentimeter von der Kehle des hingestreckten Boten entfernt. Er plapperte irgendetwas, aber die Bodenmatten, an die er sein Gesicht drückte, dämpften seine Worte.
    »Bitte, tötet mich, mein Gebieter. Ich war der Wachposten. Ich habe das Feuer nicht früh genug gesehen. Der Kommandant wollte sofort Seppuku begehen, aber nicht ohne Euren Befehl. Wir haben versagt, mein Gebieter, wir

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