Die Nacht von Granada
atmete sie auf. Es schien, als ob sie Glück gehabt hätte. Offenbar war der Vater noch immer am Arbeiten, das traf sich gut. Jetzt galt es nur noch, Djamilas Vorwürfen erfolgreich die Stirn zu bieten, eine weitaus einfachere Übung, die sie sich eher zutraute.
Doch zu ihrer Überraschung war die junge Maurin nicht allein. Nuri und Saida leisteten ihr bei einer Kanne Minztee Gesellschaft, beide allerdings mit so seltsamen Mienen, dass Lucia unwillkürlich erstarrte.
»Es ist doch niemand gestorben?«, entfuhr es ihr.
Nuri schüttelte den Kopf. »Nein, aber es ist etwas geschehen, was beinahe ebenso schlimm ist. Papa wurde zwangsgetauft«, sagte sie. »Und am Sonntag sollen Mama und ich ebenfalls zu Christen gemacht werden.«
»Aber das dürft ihr doch gar nicht!«, rief Lucia und schielte zu Djamila, die ebenfalls verweinte Augen hatte. »Kein Gläubiger darf sich von der Lehre des Propheten abwenden. Das hast du doch immer gesagt!«
»Wenn wir uns weigern, werden sie uns töten«, sagte Saida. »Wegen mir wäre es mir egal, aber meine Kinder sollen leben. Meine Tochter und mein Sohn – der von zu Hause geflohen ist, weil er die Schande nicht ertragen konnte.«
Eine Welle von Scham erfasste Lucia. Eben hatte sie noch mit Rashid gesprochen, doch seine Familie wusste nichts über ihn.
»Ich bin sicher, Rashid geht es gut«, sagte sie hastig – und erntete prompt einen alarmierten Blick von Nuri.
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie. »Wir haben seit zwei Tagen nichts mehr von ihm gehört!«
Verlegenheit schnürte ihr die Kehle zu. Wie sollte sie diesen besorgten Augen länger standhalten?
»Er ist erwachsen und weiß doch, was er tut«, begann sie zu stammeln. »Rashid kennt viele Leute und kann sicherlich gut für sich sorgen …«
Nuri war aufgesprungen und packte ihr Handgelenk.
»Was weißt du, Lucia?«, sagte sie fordernd. »Heraus damit! Was ist mit meinem Bruder? Wo steckt er?«
»Ich hab ihn vorhin zufällig gesehen«, sagte sie. »Ganz zufällig, am Fluss, als ich schon auf dem Nachhauseweg war. Er schien es sehr eilig zu haben. Wir haben nur ein paar Worte gewechselt. Es geht ihm gut, soll ich euch ausrichten … Und dass er bald bei euch vorbeischauen wird. Sehr bald vielleicht sogar.«
»Das hat Rashid gesagt?« Jetzt lagen auch Saidas Augen bohrend auf ihr.
Lucia nickte. »Mehr weiß ich leider auch nicht«, stieß sie schamrot hervor.
Saida erhob sich ächzend. »Sein Name bedeutet › der Vernünftige ‹ «, murmelte sie. »Vielleicht hätten wir ihn anders nennen sollen. Ich will jetzt nur noch in mein Bett. Vielleicht kann ich ja diese Nacht ein paar Stunden schlafen.«
Sie schlurfte zur Tür. Nuri begleitete sie.
»Warte!« Lucia hielt Nuri noch einen Augenblick zurück. »Da war wieder dieser Miguel … er hat mir hinterhergerufen …«
Nuris Augen waren plötzlich trüb. »Es gibt jetzt wichtigere Dinge, Lucia«, sagte sie leise. »Ich denke, das weißt du ganz genau.«
Als die Tür hinter den beiden ins Schloss fiel, wandte Lucia sich Djamila zu. Doch die zuckte lediglich die Achseln und verschwand blitzschnell in der Küche, als wollte sie von alledem am liebsten nichts mehr hören.
Kamal hatte alle Öllampen entzündet, die sich auftreiben ließen, und wieder und wieder ihre Position verändert. Antonio, der ihm dabei zunächst behilflich gewesen war, hatte er nach Kurzem weggeschickt.
Jetzt musste er allein sein.
Das Licht der vielen Lampen war beachtlich, wenn man bedachte, dass sich draußen schon längst die Nacht wie schwerer schwarzer Samt über die Stadt gelegt hatte – aber es reichte natürlich trotz allem nicht an die strahlende Klarheit des Tages heran. Immer wieder veränderte Kamal die Position seiner Lampen, um das Ergebnis möglicherweise doch noch zu verbessern, musste sich aber schließlich mit einem Kompromiss zufriedengeben.
Der Hyazinth ruhte auf einem weichen Tuch und schien ihn zu rufen. Doch noch war er nicht bereit, seinem Werben nachzugeben.
In immer engeren Kreisen umrundete Kamal den kostbaren Edelstein, bis er schließlich die innere Ruhe fand, sich an seine Schleifmaschine zu setzen und ihn zu berühren.
Wie kühl und glatt er war! Die Oberfläche eine schimmernde, geheimnisvolle Wolke, nach oben hin leicht gewölbt.
Plötzlich tat es ihm leid, dass er diesen vollkommenen Saphir in eine andere Form zwängen sollte – aber er hatte nun einmal in diesen seltsamen Handel eingewilligt und jetzt gab es kein Entkommen mehr. Seine
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