Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachtmahr Wunschträume

Die Nachtmahr Wunschträume

Titel: Die Nachtmahr Wunschträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Sarafin
Vom Netzwerk:
überlegen schien, ob er es darauf ankommen lassen wollte. Schließlich gab er nach und mir das Buch zurück.
    Unter seinem aufmerksamen Blick bediente ich das Zahlenschloss und genoss, wie sein Gesichtsausdruck langsam ungläubig wurde, als ihm klar wurde, dass ich das Buch tatsächlich öffnen würde.
    »Ich lese dir aber nur die jugendfreien Szenen vor!«, neckte ich.
    Klaus blinzelte. Etwas, was ich noch nie zuvor erlebt hatte. Normalerweise gab es niemanden, der einen so lange regungslos niederstarren konnte. Dann wurde mir klar, dass er lachte. Hatte ich ihn je so ehrlich und so befreit lachen gehört?
    Ich blätterte, bis ich an eine unverbindliche Textpassage kam, eine, die Klaus vielleicht sogar verdient hatte, und wartete, bis ich wieder seine Aufmerksamkeit hatte.
    »Diesen Traum hatte ich – seit ich Tagebuch führe – zweihundert Mal,« kündigte ich an. Ich hätte ihm sogar jeden einzelnen Tag an dem ich ihn geträumt hatte vorlesen können, da ich mir angewöhnt hatte, wiederkehrende Träume nicht ein weiteres Mal aufzuschreiben, sondern nur Tage der Liste hinzuzufügen und gegebenenfalls veränderte Einzelheiten zu ergänzen.
    »Das Zimmer ist gemütlich. Vielleicht ein Hotelzimmer, vielleicht eine Wohnung«, las ich vor und erklärte dann, ohne Blick in das Buch: »Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es je einen anderen Raum gegeben hat, nur an dieses eine Zimmer.«
    Dann las ich weiter: »Das schwarzhaarige Mädchen sitzt auf dem Boden, einem weichen Teppich, direkt vor einem niedrigen Wohnzimmertisch. Sie ist noch sehr jung, wartet aber geduldig auf ihren Mutter oder ihren Vater, die beide weiter vorne im Raum stehen und sich unterhalten. Aber sie hört kein Wort, obwohl die beiden heftig diskutieren. Vielleicht liegt es daran, dass sie angestrengt auf das schwarz-weiße Spielbrett starrt, welches vor ihr auf dem Tisch steht und auf den nächsten Zug wartet – offensichtlich nicht auf ihren – vielleicht aber auch daran, dass der Lärm von draußen alles übertönt.
    Es ist ein vertrautes Szenario, gewöhnlich.
    Doch als das Mädchen das nächste Mal hochschaut, ist alles fort. Ihre Eltern. Das Zimmer. Dort wo eben noch Wände waren, ist nun Feuer, Rauch. Verschiedene Gelb- und Orangetöne, Grau in allen Variationen. Sie springt auf, ruft nach ihren Eltern, stumm. Dann plötzlich, gibt es einen Ton, das Heulen und Zischen des Feuers. Die Flammen greifen nach dem Mädchen, rufen ihren Namen. Sie scheinen aus vielen Wesen zu bestehen, hellen und dunklen Schatten, menschlichen und unmenschlichen, wollen zu ihr, wollen fort, wollen sie haben, wollen sich ausbreiten, kämpfen, vernichten. Miteinander, mit ihr.
    Sie weicht zurück und wieder greift eine Flammenzunge mit heißem Atem nach dem Mädchen, verbrennt ihre Hand, ihren Arm. Etwas tropft auf ihre Schulter, versengt die Haut. Und in diesem Moment begreift sie, dass alles verloren ist, was sie je geliebt hat.«
    Ich stoppte die Lesung, sah auf und in Klaus’ regungsloses Gesicht. »Dann wache ich auf.«
    Er schwieg und ich dachte gar nicht daran, die Lautlosigkeit zu unterbrechen. Wenn er etwas verdient hatte, dann die Gedanken, die er im Augenblick sicherlich hatte. Die Vorstellung davon, was an jenem Tag vielleicht tatsächlich geschehen war. Schließlich räusperte er sich.
    »Danke, dass du es mir vorgelesen hast.« Es dauerte einen Moment, bis er den Blick von mir abwendete und zu Boden sah, beinahe, als wäre ihm dieser Moment des geteilten Leids zu viel, zu intim.
    »Weißt du, wie es passiert ist – wie es zu diesem Feuer kam?« Obwohl er sich bemühte, seine Stimme normal klingen zu lassen, konnte ich die Anspannung hören, die sich durch seinen ganzen Körper zog.
    »Nein. Ich habe keine Ahnung.«
    »Und die Schatten?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich das wüsste, hätte ich sicherlich weniger Alpträume.«
    »Oder mehr«, meinte er und ging die Treppe hinab. Obwohl ich seine leisen Worte hatte hören können, war ich mir sicher, dass sie nicht für meine Ohren bestimmt gewesen waren. Anscheinend hatte nicht nur ich einen Hang dazu, Dinge laut auszusprechen.

    In friedlicher Eintracht fuhren David und ich zur Schule. Er erklärte mir nicht, dass ich noch acht Tage bis zu seinem Geburtstag hatte und ich sagte ihm nicht, dass er mich am Arsch lecken konnte. Wir schwiegen uns einfach an. Ein großer Fortschritt in unserer Beziehung zueinander. Trotzdem lief mir die Zeit davon. Sein Geburtstag war Freitag in einer Woche.
    »Was

Weitere Kostenlose Bücher