Die Nachtwächter
Polizisten waren
immer in der Minderzahl und konnten nur dann Polizisten sein, wenn es die Bürger zuließen. Wenn den Leuten plötzlich klar wurde, dass
Polizisten nur ganz normale Narren mit einem wertlosen Stück Metal
als Dienstmarke waren, riskierten die Uniformierten, als Fleck auf dem
Pflaster zu enden.
Mumm hörte Geschrei in der Ferne.
Er richtete den Blick wieder auf die zögernden Wächter.
»Andererseits, meine Herren…«, sagte er. »Wenn ihr gehen wollt – was
wollt ihr dann machen ?«
Der gleiche Gedanke ging auch Colon und den anderen durch den
Kopf.
»Wir besorgen die Karren«, sagte er und eilte fort.
»Und ich möchte einen Cent«, sagte Nobby und streckte eine
schmutzige Hand aus. Zur großen Überraschung des Jungen gab
Mumm ihm einen Dol ar und sagte: »Halt mich weiterhin auf dem
Laufenden!«
Es wurden bereits Tische und Sitzbänke aus dem Wachhaus geholt,
und nach einigen Minuten erschien Keule mit einem Karren, auf dem
leere Fässer standen. In diesen Straßen war es leicht, Barrikaden zu
errichten. Das Problem hatte immer darin bestanden, sie freizuhalten.
Die Wächter machten sich an die Arbeit. Dies war etwas, das sie
verstanden. So etwas hatten sie als Kinder getan. Und viel eicht dachten
sie: He, diesmal tragen wir Uniformen, es kann also nichts Unrechtes
sein.
Während Mumm versuchte, eine Sitzbank in der wachsenden
Barrikade zu verkeilen, spürte er die Anwesenheit von Personen hinter
sich. Er setzte seine Bemühungen fort, bis jemand hüstelte. Daraufhin
drehte er sich um.
»Ja? Kann ich euch helfen?«
Eine kleine Gruppe hatte sich eingefunden, und Mumm erkannte:
Furcht hatte diese Leute zueinander geführt, denn unter normalen
Umständen hätten sie kaum etwas miteinander zu tun haben wol en.
Der Sprecher – beziehungsweise die Person ganz vorn – sah fast
genauso aus wie der Mann, den sich Mumm beim Gedanken an den
Heckenstreit-Mord vorgestellt hatte.
»Äh, Wächter…«
»Ja, Herr?«
»Was, äh, machst du da?«
»Ich bewahre den Frieden, Herr. Mit dieser Sitzbank, Herr.«
»Du hast von, äh, Aufruhr und Soldaten gesprochen, die hierher
kommen…«
»Das ist sehr wahrscheinlich, Herr.«
»Du brauchst ihn nicht zu fragen, Rudolf, es ist seine Pflicht, uns zu beschützen«, erklang die scharfe Stimme der Frau, die neben dem Mann
stand und wie seine Besitzerin wirkte. Mumm änderte seine Meinung
über den Mann. Er hatte den verstohlenen Blick des schüchternen
häuslichen Giftmörders. Ein solcher Mann wäre entsetzt gewesen von
der Vorstel ung einer Scheidung, was ihn jedoch nicht daran hinderte,
jeden Tag einen Frauenmord zu planen. Und man konnte sehen,
warum.
Mumm bedachte die Frau mit einem freundlichen Lächeln. Sie hielt
eine blaue Vase in den Händen. »Kann ich dir helfen, gnä’ Frau?«, fragte
er.
»Wie willst du verhindern, dass man uns in unseren Betten
ermordet?«, fragte die Frau.
»Es ist kurz vor vier Uhr nachmittags, gnä’ Frau, aber fal s du früh zu
Bett gehen möchtest und mir rechtzeitig Bescheid gibst…«
Die Frau richtete sich auf, und Mumm war beeindruckt. Nicht einmal
Sybil im vol en Herzoginnenmodus und mit dem Blut von zwanzig
Generationen arroganter Ahnen in sich hätte es mit dieser Frau
aufnehmen können.
»Willst du das einfach so hinnehmen, Rudolf? So tu doch was!«,
ordnete die Frau an.
Rudolf blickte zu Mumm auf, der sich selbst sah: unrasiert, das Haar
zerzaust, schmutzig. Und vermutlich ging bereits ein übler Geruch von
ihm aus. Er beschloss, dem Mann nicht noch mehr aufzubürden.
»Möchtet ihr uns beim Bau der Barrikade helfen?«, fragte er.
»Oh, ja, vielen Dank…«, begann Rudolf, doch seine Frau kam ihm
erneut zuvor.
»Einige dieser Möbelstücke sehen sehr schmutzig aus«, sagte Frau
Rudolf. »Und sind das etwa Bierfässer?«
»Ja, gnä’ Frau, aber sie sind leer«, erwiderte Mumm.
»Bist du sicher ? Ich weigere mich, hinter Alkohol in Deckung zu
gehen! Ich habe nie etwas von Alkohol gehalten, und das gilt auch für
Rudolf!«
»Ich versichere dir, gnä’ Frau: Jedes Bierfass, das eine gewisse Zeit in
der Nähe meiner Männer verbringt, ist leer«, sagte Mumm. »Das
garantiere ich.«
»Und sind deine Männer nüchtern und anständig?«, fragte die Frau.
»Solange sich keine Alternative anbietet, gnä’ Frau«, sagte Mumm.
Das schien akzeptabel zu sein. In dieser Hinsicht war Frau Rudolf wie
Rust: Sie hörte den Tonfal , nicht die Worte.
»Ich glaube,
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