Die Nachtwächter
es gibt sieben leere
Gräber auf dem Friedhof…
Konnte er in einem solchen Fall in seine Zeit zurückkehren?
Angenommen, Madame hatte Recht und man bot ihm den Posten des
Kommandeurs an, nicht als Bestechung, sondern weil er ihn sich
verdient hatte. Das würde die Geschichte verändern!
Mumm holte das Zigarrenetui hervor und blickte auf die Gravur.
Mal sehen, dachte er. Wenn ich Sybil nie begegne, können wir wohl
kaum heiraten, und dann gibt es keinen Grund für sie, mir dieses Etui
zu kaufen, und dann kann ich es nicht in der Hand halten und
betrachten…
Er starrte auf die schnörkelige Gravur und wünschte sich fast, dass sie
verschwand. Aber sie blieb da.
Andererseits… Der alte Mönch hatte gesagt, was geschehen ist, bleibt geschehen. Und vor Mumms innerem Auge gab es ein geistiges Bild
von Sybil, Karotte, Detritus und all den anderen. Es zeigte sie
eingefroren in einem Moment, der keinen anderen Moment haben
würde.
Mumm wol te nach Hause. Er wol te es so sehr, dass er beim
Gedanken daran zitterte. Aber wenn der Preis dafür darin bestand, gute
Männer der Nacht zu überlassen, jene Gräber zu fül en und nicht mit
jedem Trick zu kämpfen, den er kannte… dann war der Preis zu hoch.
Er begriff, dass er eigentlich gar nichts entschied. Dies geschah tief
unter den Bereichen des Gehirns, die Entscheidungen trafen. Es war
etwas Eingebautes.
Nirgends gab es ein Universum, in dem Sam Mumm nachgeben
würde, denn dann wäre er nicht mehr Sam Mumm gewesen.
Der Schriftzug blieb in dem Silber erhalten, aber er war jetzt
verschwommen, wegen der Tränen in Mumms Augen. Er weinte die
Tränen eines Zorns, der größtenteils ihm selbst galt. Er konnte
überhaupt nichts tun. Er hatte keine Fahrkarte gekauft, um hierher zu
kommen, aber jetzt war er hier und musste alles bis zum Schluss
durchstehen.
Was hatte der alte Mönch sonst noch gesagt? Dass die Geschichte
einen Weg fand? Sie musste sich etwas einfallen lassen, denn jetzt trat
sie gegen Sam Mumm an.
Er sah auf und stellte fest, dass ihn der junge Sam beobachtete. »Alles
in Ordnung, Oberfeldwebel?«
»Ja, ja.«
»Ich meine, du sitzt da seit zwanzig Minuten und starrst auf deine
Zigarren.«
Mumm hüstelte, steckte das Etui ein und riss sich zusammen.
»Vorfreude ist die beste Freude«, sagte er.
Die Nacht dauerte an. Nachrichten trafen ein, von Barrikaden auf
Brücken und an Toren. Es gab Angriffe, die aber nur dazu dienten, die
Entschlossenheit der Verteidiger zu testen. Und es kamen weitere
Deserteure an.
Ein Grund für die vielen Desertionen bestand darin, dass praktisch
veranlagte Menschen über gewisse ökonomische Prinzipien
nachdachten. Der Republik der Sirupminenstraße fehlten al e wichtigen
Gebäude in der Stadt, genau jene, die Rebel en eigentlich unter ihre
Kontrolle bringen wol ten. Sie hatte weder Regierungsbüros noch
Banken und nur wenige Tempel. Sie war fast völlig ohne die
bedeutsame Architektur der Stadt.
Dafür hatte sie al den unwichtigen Kram: den ganzen
Schlachthausdistrikt, den Butter- und Käsemarkt, die Tabakhändler und
Kerzenmacher und fast alle Obst- und Gemüselager. Zwar mussten die
Republikaner auf wichtige Dinge wie Regierung, Bankdienste und
Seelenheil verzichten, aber sie waren unabhängig in so banalen und
alltäglichen Dingen wie Essen und Trinken.
Menschen sind bereit, lange Zeit auf ihr Seelenheil zu warten, aber sie
erwarten, dass das Essen in spätestens einer Stunde auf dem Tisch
steht.
»Ein Geschenk von den Jungs drüben bei den Schlachthäusern,
Oberfeldwebel«, sagte Dickins und kam mit einem Karren. »Sie meinen,
sonst würde es nur verderben. Kann ich den Kram an die Feldküchen
verteilen?«
»Was hast du?«, fragte Mumm.
»Größtenteils Steaks«, erwiderte der alte Feldwebel und lächelte.
»Aber ich habe im Namen der Revolution einen Sack Zwiebeln befreit!«
Er sah, wie sich Mumms Gesichtsausdruck veränderte. »Nein,
Oberfeldwebel, der Mann hat ihn mir gegeben. Die Jungs müssen was
essen, meinte er.«
»Was habe ich euch gesagt? In der Volksrepublik wird jede Mahlzeit
ein Festmahl sein!« Reg Schuh näherte sich und hielt ein Klemmbrett in
der Hand. Leute wie Schuh können sich einfach nicht davon trennen.
»Wenn du die Ladung bitte zum offiziellen Lagerhaus bringen könntest,
Feldwebel…«
»Zu welchem Lagerhaus?«
Reg seufzte. »Alle Lebensmittel müssen ins volkseigene Lagerhaus
gebracht werden. Dort kümmern sich meine Funktionäre um
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