Die Nachtwächter
Thomas. Und sie wird gut
verteidigt. Wir können das Ding nicht einfach in Brand setzen – die
ganze Stadt würde in Flammen aufgehen!«
»Ja«, bestätigte der Hauptmann. »Und die Leute dahinter… Eigentlich
tun sie gar nichts. Sie sind einfach nur da.«
»Wie meinst du das?«
»Sie setzen sogar alte Omas auf die Barrikaden und lassen sie auf
unsere Jungs schimpfen. Der arme Feldwebel Franklin. Seine Oma sah
ihn und rief, wenn er nicht sofort zu Bett ginge, würde sie allen
erzählen, was er als Elfjähriger angestellt hat.«
»Die Männer sind doch bewaffnet, oder?«, fragte der Major und
wischte sich die Stirn ab.
»O ja. Aber wir haben ihnen geraten, nicht auf unbewaffnete Omas zu
schießen. Wir wollen schließlich keinen zweiten Zwischenfall wie bei
den Tol en Schwestern.«
Der Major starrte auf die Karte und suchte nach einer Lösung. »Und
was hat Feldwebel Franklin als Elfjähriger angestellt?«, fragte er geistesabwesend.
»Das hat seine Oma nicht gesagt.«
Plötzliche Erleichterung erfasste den Major. »Weißt du, was aus dieser
Situation geworden ist, Hauptmann?«
»Du wirst es mir sicher gleich sagen, Stefan.«
»Das werde ich, Thomas. Etwas Politisches ist daraus geworden. Wir sind Soldaten. Politik geht weiter nach oben.«
»Du hast Recht , Stefan. Ausgezeichnet!«
»Nimm einen Leutnant, der in letzter Zeit ein wenig nachlässig
gewesen ist, und beauftrage ihn, den Kommandeuren Bericht zu
erstatten«, sagte der Major.
»Ist das nicht ein bisschen grausam, Stefan?«
»Ja. Aber so ist das eben mit der Politik.«
Lord Albert Selachi hielt nicht viel von Partys. Dabei war immer zu viel
Politik im Spiel. Und von dieser Party hielt er besonders wenig, denn sie
verlangte von ihm, sich im gleichen Zimmer aufzuhalten wie Lord
Winder, den er tief in seinem Innern für einen »üblen Mann« hielt. In
seinem persönlichen Vokabular gab es keine größere Verurteilung. Und
was al es noch schlimmer machte: Während er versuchte, Lord Winder
zu meiden, musste er auch darauf achten, Lord Venturi aus dem Weg
zu gehen. Ihre Familien verachteten sich höflich. Lord Albert wusste
nicht, welches Ereignis in der Geschichte den Zwist ausgelöst hatte,
aber es musste sehr wichtig gewesen sein, sonst wäre es dumm, die
gegenseitige Verachtung fortzusetzen. Als Bergklane hätten sich die
Selachi und Venturi hingebungsvol befehdet und bekämpft. Aber da
sie zwei der führenden Familien in Ankh-Morpork waren, brachten sie
sich eisige, von Bosheit erfül te Höflichkeit entgegen, wenn die
Umstände sie zu einer Begegnung zwangen. Lord Alberts vorsichtiger
Kurs durch die weniger gefährlichen politischen Bereiche der
verdammten Party führte ihn unglücklicherweise direkt zu Lord Charles
Venturi. Es war schon schlimm genug, dass er mit diesem Burschen an
einem Feldzug teilnehmen musste, fand Lord Albert. Er wol te nicht
auch noch gezwungen sein, mit ihm über den nicht besonders guten
Wein zu reden. Aber leider boten die aktuellen Gezeiten der Party keine
Möglichkeit zu fliehen, ohne unhöflich zu sein. Erstaunlicherweise
erlaubte es die Etikette der Oberschicht von Ankh-Morpork, einen
guten Freund zu brüskieren; aber es war der Gipfel des schlechten
Benehmens, zum ärgsten Feind unhöflich zu sein.
»Venturi«, sagte Lord Albert und hob sein Glas um den sorgfältig
berechneten Bruchteil eines Zentimeters.
»Selachi «, erwiderte Lord Venturi und erwiderte die Geste.
»Dies ist eine Party«, sagte Albert.
»In der Tat. Wie ich sehe, stehst du aufrecht.«
»In der Tat. So wie du, wie ich sehe.«
»In der Tat. Da wir gerade dabei sind: Viele andere stehen ebenfal s
aufrecht.«
»Was keineswegs bedeutet, dass die horizontale Position nicht gewisse
Vorzüge hat, zum Beispiel beim Schlafen«, sagte Albert.
»Das lässt sich kaum leugnen. Allerdings kommt so etwas hier nicht in
Frage.«
»Oh, in der Tat.«*
Eine recht munter wirkende Frau in einem prächtigen violetten Kleid
tänzelte durch den Bal saal. Das Lächeln ging ihr voraus.
»Lord Selachii?«, sagte sie und bot ihm die Hand an. »Wie ich hörte,
hast du ausgezeichnete Arbeit geleistet, uns vor dem Pöbel zu
schützen!«
Seine Lordschaft hatte den sozialen Autopiloten eingeschaltet und
verbeugte sich steif. Er war nicht an direkte Frauen gewöhnt, und
Madame war ganz Direktheit. Andererseits waren al e sicheren Themen
mit einem Venturi erschöpfend behandelt.
»Ich fürchte, du bist mir gegenüber im
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