Die Nachtwächter
Vorteil, Madame…«, murmelte
er.
»Das wil ich hoffen!«, erwiderte Madame und bedachte ihn mit einem
so strahlenden Lächeln, dass er ihre Worte nicht analysierte. »Und wer
ist dieser beeindruckende militärische Herr? Vielleicht ein
Waffenbruder?«
* Bei diesen Gelegenheiten achteten die Selachii und Venturi darauf, nur über Dinge zu sprechen, die keine Meinungsverschiedenheiten zuließen. Angesichts der Geschichte der beiden Familien war die Auswahl der Themen sehr
begrenzt.
Lord Selachi zögerte. Er war mit dem Wissen aufgewachsen, dass
man Männer Frauen vorstellte, und diese lächelnde Dame hatte ihm
nicht ihren…
»Lady Roberta Meserole«, sagte sie. »Für die meisten Leute, die mich
kennen, bin ich Madame. Meine Freunde nennen mich Bobbi.«
Lord Venturi schlug die Hacken zusammen. Er war schnel er von
Begriff als sein »Waffenbruder«, und seine Frau hatte ihm von den
neuesten Gerüchten erzählt.
»Ah, du bist die Lady aus Gennua«, sagte er und nahm ihre Hand.
»Ich habe viel von dir gehört.«
»Auch etwas Gutes?«, fragte Madame.
Lord Venturi sah durch den Bal saal. Seine Frau schien in ein
Gespräch vertieft zu sein. Aus unangenehmer Erfahrung wusste er, dass
ihr Ehefrauenradar ein Ei auf eine Entfernung von einer halben Meile
braten konnte. Doch der Sekt war sehr gut gewesen.
»Nur das Beste, Teuerste«, erwiderte er, was allerdings nicht ganz so
witzig klang, wie er gehofft hatte. Madame lachte trotzdem. Vielleicht
war er witzig. Dieser Sekt war wirklich hervorragend…
»Eine Frau muss in der Welt so gut zurechtkommen, wie sie kann«,
sagte Madame.
»Darf ich mir die Kühnheit gestatten zu fragen, ob es einen Lord
Meserole gibt?«, fragte Lord Venturi.
»So früh am Abend?«, erwiderte Madame und lachte erneut. Und
Lord Venturi lachte mit ihr. Donnerwetter, das mit dem witzigen Kram
ist viel leichter, als ich dachte!
»Nein, ich meinte natürlich…«, begann er.
»Ja, da bin ich sicher.« Madame berührte ihn mit ihrem Fächer am
Arm. »Nun, ich wil dich nicht mit Beschlag belegen, aber ich möchte
euch beide einigen meiner Freunde vorstellen…«
Sie ergriff Lord Venturi an einem bereitwilligen Arm und führte ihn
fort. Selachii folgte mürrisch und war der Ansicht: Wenn sich ehrbare
Frauen Bobbi nannten, stand das Ende der Welt unmittelbar bevor, und
das zu Recht.
»Herr Kartlich kommt aus der Kupferbranche, und Herr Jaujon hat
mit Gummi zu tun«, flüsterte Madame.
Die Gruppe bestand aus sechs Männern, die sich leise unterhielten.
Als sich Lord Venturi und Lord Selachii näherten, hörten sie: »… muss
man sich in Zeiten wie diesen wirklich fragen, wo die eigene Loyalität
liegt… oh, guten Abend, Madame…«
Auf ihrem nur scheinbar zufäl igen Weg zum Büfetttisch begegnete
Madame einigen anderen Herren und dirigierte sie wie eine gute
Gastgeberin zu einer anderen kleinen Gruppe. Nur jemand, der hoch
oben auf einem der großen Balken unter der Decke gelegen hätte, wäre
imstande gewesen, ein Muster zu erkennen – vorausgesetzt, er kannte
den Code. Hätte der Beobachter einen roten Punkt auf den Köpfen der
Leute gesehen, die nicht zu den Freunden des Patriziers zählten, und
einen weißen auf den Köpfen seiner Spezis und einen rosaroten auf den
Köpfen der ewigen Zweifler, so hätte er eine Art Tanz erkannt. Es gab
nicht viele weiße Punkte.
Hier und dort bildeten rote Punkte Gruppen. Weiße Punkte wurden
ihnen beigefügt, einzeln oder zu zweit, wenn die Gruppen groß genug
waren. Wenn ein Weißer eine Gruppe verließ, wurde er oder sie
mühelos aufgenommen und zu einer anderen Gruppe geführt, zu der
ein oder zwei Rosarote gehören mochten, die jedoch größtenteils aus
Roten bestand.
Gespräche zwischen Weißen wurden mit einem Lächeln oder einem
sanften »Oh, ich muss euch unbedingt jemanden vorstel en…«
unterbrochen. Gelegentlich gesel ten sich ihnen auch einige Rote hinzu.
Unterdessen wurden die Rosaroten vorsichtig von einer roten Gruppe
zur nächsten gereicht, bis ihr Rosarot dunkler wurde, und danach
durften sie mit anderen Dunkelrosaroten sprechen, unter der Aufsicht
eines Roten.
Die Rosaroten begegneten so vielen Roten, dass sie die Existenz der
Weißen praktisch vergaßen. Und die Weißen waren entweder ständig
al ein oder den Roten und Rosaroten gegenüber so sehr in der
Minderzahl, dass sie aus Verlegenheit oder dem Wunsch, nicht mehr so
sehr aufzufallen, rot wurden.
Lord Winder war vol
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