Die Nachtwächter
essen.
Die Leute arbeiteten noch immer an der Barrikade. Das hatte sich zu einer Art al gemeinem Hobby entwickelt. Das Ganze lief auf kollektives
Renovieren hinaus. Feuereimer tauchten auf, manche mit Wasser
gefüllt, andere mit Sand. An einigen Stel en war die Barrikade
undurchdringlicher als die Stadtmauer, wenn man berücksichtigte, wie
oft Letztere geplündert worden war, um Baumaterial zu gewinnen.
Gelegentlich erklangen Trommelschläge in der Stadt, und Geräusche
deuteten auf Truppenbewegungen hin.
»Oberfeldwebel?«
Mumm sah nach unten. Ein Gesicht erschien am oberen Ende der
Leiter, die zur Straße hinabführte.
»Ah, Fräulein Battye. Ich wusste gar nicht, dass du bei uns bist.«
»Ich wol te es gar nicht, aber plötzlich gab es diese große
Barrikade…«
Sie kletterte ganz nach oben, mit einem kleinen Eimer in der Hand.
»Dr. Rasen lässt dir einen schönen Gruß ausrichten und fragt, wieso
du noch niemanden zusammengeschlagen hast«, sagte sie und setzte
den Eimer ab. »Er hat drei Tische geschrubbt, hält zwei Eimer mit
heißem Pech bereit, und sechs Frauen rol en Verbände für ihn. Aber
bisher hatte er nur einen Fal von Nasenbluten. Er meint, du
enttäuschst ihn.«
»Sag ihm ha, ha, ha«, erwiderte Mumm.
»Ich habe dir das Frühstück gebracht«, sagte Sandra. Mumm bemerkte
einige der Jungs, die unten standen und ohne großen Erfolg versuchten,
im Verborgenen zu bleiben. Sie kicherten leise.
»Pilze?«, fragte er.
»Nein«, antwortete die junge Frau. »Ich sol dir ausrichten: Da es
Morgen ist, bekommst du al es, was du dir gewünscht hast…«
Mumm zögerte und war nicht sicher, wohin ihn die Welt brachte.
»Ein hart gekochtes Ei«, sagte Sandra. »Und Sam Mumm meinte,
vermutlich möchtest du es nicht zu hart gekocht, das Eigelb soll noch flüssig sein, und er schlug auch in Streifen geschnittenes Brot vor.«
»Was seinen eigenen Vorlieben entspricht«, sagte Mumm leise. »Hat
gut geraten, der Mann.«
Mumm warf das Ei in die Luft und wol te es wieder auffangen. Doch
es ertönte ein Geräusch wie von einer sich schließenden Schere, und es
regnete Eigelb und Schalenstücke. Und dann regnete es Pfeile.
Der Geräuschpegel der Konversation war gestiegen. Madame näherte
sich der Gruppe um Lord Winder. Wie durch Magie dauerte es nur
zehn Sekunden, bis sie mit ihm allein war – alle anderen sahen plötzlich
irgendwo jemanden, mit dem sie dringend sprechen mussten.
»Wer bist du?«, fragte Winder und musterte sie mit der
Aufmerksamkeit eines Mannes, der fürchtet, dass eine Frau versteckte
Waffen bei sich hat.
»Madame Roberta Meserole, Euer Exzellenz.«
»Die Frau aus Gennua?« Winder schnaubte, was bei ihm auf ein
höhnisches Kichern hinauslief. »Ich habe Geschichten über Gennua
gehört.«
»Ich könnte dir vermutlich weitere erzählen, Euer Exzel enz«, sagte
Madame. »Aber es wird jetzt Zeit für den Kuchen.«
»Ja«, sagte Winder. »Wusstest du, dass wir einen weiteren Assassinen
geschnappt haben? Sie versuchen es immer wieder. Elf Jahre, und sie
geben nicht auf. Aber ich erwische sie jedes Mal, auch wenn sie noch so
heimlich herumschleichen.«
»Ausgezeichnet, Euer Exzel enz«, sagte Madame. Es half, dass er eine
unangenehme Person war, ganz offensichtlich bis ins Mark verdorben.
Das machte es einfacher. Madame drehte sich um und klatschte in die
Hände. Erstaunlicherweise bewirkte dieses kleine Geräusch, dass es still
wurde.
Die Doppeltür am Ende des Ballsaals schwang auf, und zwei
Trompeter erschienen. Sie bezogen zu beiden Seiten der Tür
Aufstellung…
»Haltet sie auf!«, rief Winder und duckte sich. Seine beiden
Leibwächter eilten durch den Saal und rissen den erschrockenen
Männern die Trompeten aus der Hand. Sie untersuchten sie sehr
vorsichtig, als erwarteten sie eine Explosion oder das Ausströmen von
sonderbarem Gas.
»Giftpfeile«, sagte Winder zufrieden. »Man kann nicht vorsichtig
genug sein, Madame. In meinem Amt lernt man, auf jeden Schatten zu
achten. Na schön, lasst sie spielen. Aber ohne die Trompeten. Ich mag
keine Rohre, die auf mich zielen.«
Am anderen Ende des Ballsaals gab es ein leises, verwundertes
Gespräch. Dann traten die beiden Trompeter zurück und pfiffen, so gut
sie konnten.
Lord Winder lachte, als der Kuchen hereingeschoben wurde. Die
einzelnen Lagen reichten bis in eine Höhe von fast zwei Metern und
waren von einer dicken Glasur überzogen.
»Prächtig«, sagte Lord Winder, als die
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